Читаем 0196951001361827419 adrian lara - midnight breed 01 полностью

Sie war eine Unbekannte im Teenageralter gewesen, wahrscheinlich obdachlos, ohne Ausweis und anscheinend ohne Familie oder Freunde, abgesehen von dem Säugling, den sie in einer Augustnacht in einem Mülleimer in der Innenstadt liegen gelassen hatte, schreiend und erschöpft. Gabrielles Mutter war brutal misshandelt worden und blutete aus tiefen Wunden am Hals; hysterisch und voller Panik hatte sie an den Verletzungen gekratzt und dadurch die Situation noch verschlimmert. Während sie in der Notaufnahme behandelt wurde, war sie in einen Zustand der Katatonie verfallen und hatte sich nie mehr erholt.

Statt sie für das Verbrechen, ihren Säugling ausgesetzt zu haben, strafrechtlich zu verfolgen, hatten die Gerichte die Frau für unzurechnungsfähig erklärt und sie in eine Einrichtung geschickt, die wahrscheinlich nicht viel anders war als diese hier. Weniger als einen Monat nach ihrer Einweisung hatte sie sich selbst mit einem zusammengeknoteten Betttuch erhängt und zahllose Fragen hinterlassen, auf die es niemals Antworten geben würde.

Gabrielle versuchte die Last dieser alten Wunden abzuschütteln, aber als sie dort stand und durch die frühen Glasfenster blickte, kam die Erinnerung an die Vergangenheit wieder hoch. Sie wollte nicht über ihre Mutter nachdenken und auch nicht über das Unglück ihrer Herkunft und die düsteren, einsamen Jahre, die danach gekommen waren. Sie musste sich auf ihre Arbeit konzentrieren, denn sie war es, die Gabrielle das alles durchstehen ließ. Sie war die einzige Konstante in ihrem Leben, im Prinzip alles, was sie auf dieser Welt überhaupt besaß.

Und das reichte auch aus.

Jedenfalls reichte es meistens aus.

„Jetzt mach ein paar Aufnahmen, und verschwinde dann von hier, verdammt“, schalt sie sich selbst. Sie hob den Fotoapparat und machte noch ein paar Fotos durch die dünnen Gitterstäbe hindurch, die sich zwischen den doppelten Fensterscheiben befanden.

Dann überlegte sie, ob sie das Gelände auf die gleiche Weise verlassen sollte, wie sie hereingekommen war, oder ob sie nicht auch einen anderen Ausgang finden konnte, irgendwo im Erdgeschoss des Hauptgebäudes. Der Gedanke daran, sich wieder in den dunklen Keller zu begeben, war nicht gerade reizvoll. Sie machte sich mit den Gedanken an ihre Mutter selbst verrückt, und je länger sie in der alten Nervenheilanstalt blieb, desto unbehaglicher fühlte sie sich. Als sie die Tür zum Treppenhaus geöffnet hatte, fiel in einigen der leeren Räume und am Ende des angrenzenden Ganges schwaches Licht durch die Fenster, was ihr gleich ein besseres Gefühl gab.

Offenbar hatte es der „Schlechte Schwingungen“-Graffitikünstler von draußen ebenfalls bis hierher geschafft. Auf jede der vier Wände waren mit tiefschwarzer Farbe seltsame verschnörkelte Symbole gemalt. Vermutlich handelte es sich dabei um Bandensignaturen oder die stilisierte Unterschrift von Jugendlichen, die vor ihr hier gewesen waren. Eine weggeworfene Sprühdose lag in der Ecke, zusammen mit einem Abfallhaufen aus Zigarettenstummeln, zerbrochenen Bierflaschen und anderem Müll.

Gabrielle nahm ihren Fotoapparat heraus und suchte nach einem guten Winkel für die Aufnahme, die sie im Sinn hatte. Das Licht war nicht gerade toll, aber mit einem anderen Objektiv konnte das Motiv was hergeben. Sie kramte in ihrer Tasche nach ihren Objektivkästchen. Plötzlich erstarrte sie, als sie von fern ein surrendes Geräusch hörte, das von irgendwo unter ihren Füßen stammte. Es war nur schwach, aber es klang merkwürdigerweise nach einem Fahrstuhl. Gabrielle stopfte ihre Ausrüstung in ihre Tasche zurück und horchte auf die vagen Geräusche um sie herum. Eiskalt überfiel sie eine düstere Vorahnung.

Sie war hier nicht allein.

Und jetzt, als sie darüber nachdachte, spürte sie auch einen Blick, der auf ihr ruhte. Er kam von einer Stelle ganz in ihrer Nähe, dessen wurde sie sich mit einem unangenehmen Prickeln auf ihrer Haut bewusst. Die feinen Härchen auf ihrem Nacken richteten sich auf, und auf ihren Armen bildete sich eine Gänsehaut. Langsam drehte sie den Kopf und blickte sich um. Und da sah sie es – eine kleine Videokamera einer internen Überwachungsanlage, die in der im Schatten liegenden oberen Ecke des Flurs angebracht worden war und die Tür zum Treppenhaus überwachte, durch die sie nur wenige Minuten zuvor gekommen war.

Vielleicht funktionierte die Kamera nicht, möglicherweise war sie nur ein Überbleibsel aus den Tagen, als die Nervenheilanstalt noch in Betrieb gewesen war. Das wäre zu schön gewesen. Es war nur leider so, dass die Kamera gut gewartet und eindeutig auf dem neuesten Stand der Technik war. Probehalber machte Gabrielle einen langen Schritt darauf zu, sodass sie fast unter dem Gerät stand. Lautlos neigte sich die Sockelhalterung der Kamera, und das Objektiv richtete sich aus, bis es Gabrielle ins Gesicht starrte.

Scheiße, sagte sie lautlos in dieses schwarze, starre Auge. Erwischt.

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