„Hör auf damit!“ Sie versuchte ihn wegzustoßen, aber er stand fest wie eine Mauer aus Muskeln und cooler, finsterer Entschlossenheit. Er hielt ihrem Zorn stand, die nutzlosen Schläge, mit denen sie gegen seine Brust trommelte, schienen ihm nicht das Geringste auszumachen. Seine gelassene Miene blieb so reglos wie sein Körper. Sie wich zurück, frustriert und gequält. „Gott, was versuchst du hier zu beweisen, Lucan?“
„Nur dass ich nicht das Monster bin, für das du mich gern halten möchtest. Dein Körper kennt mich. Deine Sinne sagen dir, dass du bei mir in Sicherheit bist. Du musst nur auf sie hören, Gabrielle. Und du musst auf mich hören, wenn ich dir sage, dass ich nicht hier bin, um dir Angst zu machen. Ich werde dich nie angreifen, und ich werde auch niemals dein Blut trinken. Ich schwöre bei meiner Ehre, ich werde dir nie etwas tun.“
Sie lachte halb erstickt auf, eine automatische Reaktion bei der Vorstellung, dass ein Vampir so etwas wie Ehre haben und mit solchem Ernst darauf schwören konnte. Aber Lucans Blick war unerschütterlich und ernst. Vielleicht war sie verrückt, denn je länger sie seinem silbernen Starren standhielt, desto schwächer wurden ihre Zweifel, an denen sie so verzweifelt festzuhalten suchte.
„Ich bin nicht dein Feind, Gabrielle. Seit Jahrhunderten haben meine und deine Art sich gegenseitig gebraucht, um zu überleben.“
„Ihr nährt euch von uns“, flüsterte sie niedergeschlagen, „wie Parasiten.“
Ein Schatten glitt über seine Züge, aber er ließ sich von ihrem abschätzigen Vorwurf nicht provozieren. „Wir haben euch auch beschützt. Und manche von meiner Art haben sogar deinesgleichen geliebt und mit ihnen als im Blut verbundene Paare das Leben geteilt. Nur so kann das Vampirvolk fortbestehen. Ohne menschliche Frauen, die unsere Kinder zur Welt bringen, würden wir irgendwann aussterben. So bin auch ich entstanden, und alle anderen, die wie ich sind.“
„Ich verstehe nicht. Warum könnt ihr euch nicht mit Frauen eurer eigenen Art … verbinden?“
„Weil es keine gibt. Durch ein genetisches Defizit sind alle Nachkommen des Stammes männlich, vom Allerersten der Blutlinie über Hunderte von Generationen bis heute.“
Diese letzte Enthüllung nach all den erstaunlichen Neuigkeiten gab ihr zu denken. „Das bedeutet dann also, dass deine Mutter ein Mensch ist?“
Lucan nickte leicht. „Das war sie.“
„Und dein Vater? War ein …“
Bevor sie das Wort Vampir aussprechen konnte, antwortete Lucan: „Mein Vater und die sieben anderen Alten, die wie er waren, stammten nicht von dieser Welt. Sie waren die ersten Angehörigen meines Volkes, Wesen von einem anderen Ort, der sich von diesem Planeten stark unterschied.“
Es dauerte einen Moment, bis die Bedeutung seiner Aussage zu Gabrielle durchdrang. Es gab schon so viel, was sie im Augenblick verdauen musste. „Was willst du damit sagen – dass sie Aliens waren?“
„Sie waren Forscher. Eigentlich wilde, kriegerische Eroberer, die vor sehr langer Zeit eine Bruchlandung auf der Erde gemacht haben.“
Gabrielle starrte ihn an. „Dein Vater war nicht nur ein Vampir, sondern auch noch ein Außerirdischer? Hast du eine Ahnung, wie irre das klingt?“
„Es ist die Wahrheit. Das Volk meines Vaters nannte sich nicht Vampire, aber nach menschlicher Definition waren sie das. Ihr Verdauungssystem war zu fortgeschritten für das primitive Eiweiß der Erde. Sie konnten die Pflanzen und Tiere nicht verarbeiten, wie es die Menschen taten, also lernten sie, sich von Blut zu ernähren. Sie sättigten sich ohne jede Zurückhaltung und löschten dabei ganze Populationen aus. Von einigen hast du bestimmt schon gehört: Atlantis. Das Königreich der Maya. Und zahllose ungenannte Zivilisationen, von denen nichts überliefert ist und die scheinbar über Nacht verschwanden. Manches Massensterben, das in der Geschichte Seuchen und Hungersnöten zugeschrieben wurde, war in Wirklichkeit etwas anderes.“
„Angenommen, irgendwas von dem, was du mir da erzählst, ist ernst zu nehmen, dann sprichst du über ein Jahrtausende währendes Gemetzel.“ Kälte breitete sich in ihrem Körper aus, als er keine Anstalten machte, das abzustreiten. „Ernähren sie sich … ernährst du dich – Gott, ich kann nicht glauben, dass ich dieses Gespräch mit dir führe. Ernähren Vampire sich von allen Lebewesen, vielleicht auch voneinander, oder sind wir Menschen das Hauptgericht?“
Lucans Gesichtsausdruck war ernst. „Nur menschliches Blut enthält die spezifische Kombination von Nährstoffen, die wir brauchen, um zu überleben.“
„Wie oft?“
„Wir müssen alle paar Tage Nahrung aufnehmen, mindestens einmal pro Woche. Mehr, wenn wir verletzt sind und Energie brauchen, um unsere Wunden heilen zu lassen.“
„Und ihr … tötet, wenn ihr Nahrung aufnehmt?“
„Nicht immer, eigentlich eher selten. Der größte Teil des Volkes ernährt sich von willigen menschlichen Blutwirtinnen.“
„Menschen bieten sich wirklich freiwillig an, um sich von euch quälen zu lassen?“, fragte Gabrielle ungläubig.