Sie entzog sich seiner Liebkosung, und er verspürte schmerzliches Bedauern, als sie sich schweigend von ihm abwandte.
Ihn ausschloss, den jetzt wieder Fremden.
Er sah zu, wie sie den Datenstick herausnahm und zu dem anderen legte. Als sie die Anwendung schließen wollte, sagte Lucan: „Noch nicht. Du musst die Bilddateien vom gesamten Computer löschen und auch aus allen Backups, die du hast. Die Kopien, die wir jetzt mitnehmen, müssen die einzigen sein, die noch übrig sind.“
„Was ist mit den Abzügen? Denen da drüben auf dem Tisch, und denen unten in meiner Dunkelkammer –“
„Mach du das hier fertig. Ich hole die Abzüge.“
„Okay.“
Sie machte sich ans Werk, und Lucan durchsuchte rasch die restliche Wohnung. Er sammelte alle losen Aufnahmen ein und nahm auch Gabrielles gerahmte Bilder von den Wänden, um nichts zurückzulassen, das den Rogues von Nutzen sein konnte. In Gabrielles Schlafzimmerschrank fand er eine große Reisetasche und nahm sie mit nach unten, um zu packen.
Als er mit dem Packen fertig war und den Reißverschluss zuzog, hörte er das leise Brummen eines Wagens, der vor dem Haus hielt. Zwei Türen wurden geöffnet und dann wieder zugeschlagen, dann kamen eilige Schritte auf die Wohnung zu.
„Jemand ist hier“, sagte Gabrielle und sah Lucan alarmiert an. Der Computer ging aus.
Lucan schob eine Hand unter seinen Trenchcoat und tastete nach seinem Kreuz, wo hinten in seinem Hosenbund eine 9-mm-Beretta steckte. Sie war mit Titanmunition geladen, maximale Durchschlagskraft zum Einäschern von Rogues – eine von Nikos neuesten Erfindungen. Wenn ein Rogue vor der Tür stand, würde er dem blutgierigen Hundesohn ordentlich Bauchweh machen.
Aber es waren keine Rogues, wie ihm plötzlich bewusst wurde. Nicht mal Lakaien, die wegzupusten Lucan auch eine gewisse Genugtuung bereitet hätte.
Es waren Menschen, die vor der Tür standen. Ein Mann und eine Frau.
„Gabrielle?“ Die Türklingel schrillte mehrmals schnell hintereinander. „Hallo! Gabby! Bist du da?“
„O nein. Es ist meine Freundin Megan.“
„Die, bei der du letzte Nacht warst?“
„Ja. Sie hat mich den ganzen Tag anzurufen versucht und Nachrichten hinterlassen. Sie macht sich Sorgen um mich.“
„Was hast du ihr erzählt?“
„Sie weiß von dem Überfall im Park. Ich habe ihr erzählt, wie ich angegriffen wurde, aber ich habe nichts von dir erzählt …“
„Warum nicht?“
Gabrielle zuckte mit den Achseln. „Ich wollte sie nicht mit hineinziehen. Ich will nicht, dass sie meinetwegen in Gefahr gerät. Irgend so was.“ Sie schüttelte den Kopf. „Vielleicht mochte ich nichts über dich sagen, ehe ich nicht selber mehr wusste.“
Die Türklingel schrillte erneut. „Gabby, mach auf! Ray und ich müssen mit dir reden. Wir wollen sicher sein, dass es dir gut geht.“
„Ihr Freund ist Polizist“, erklärte Gabrielle leise. „Sie wollen, dass ich eine Aussage über das mache, was letzte Nacht passiert ist.“
„Gibt es hier einen Hinterausgang?“
Sie nickte, schien dann zu zögern und schüttelte den Kopf. „Die Schiebetür da führt zu einem gemeinsamen Garten hinter dem Haus, aber da gibt es einen hohen Zaun –“
„Keine Zeit“, erwiderte Lucan, indem er die Möglichkeit verwarf. „Geh zur Tür. Lass deine Freunde rein.“
„Was hast du vor?“ Sie starrte auf seine Hand, als er die Waffe aus seinem Trenchcoat zog und hinter seinem Rücken verbarg. Ihr Gesicht nahm einen panischen Ausdruck an. „Hast du da eine Schusswaffe? Lucan, sie werden dir nichts tun. Ich sorge dafür, dass sie nichts sagen –“
„Ich werde die Waffe nicht gegen sie einsetzen.“
„Was willst du dann tun?“ Nachdem sie bewusst jeden Körperkontakt mit ihm vermieden hatte, umklammerte sie seinen Arm. „Bitte sag mir, dass du ihnen nichts tust –“
„Mach die Tür auf, Gabrielle.“
Ihre Füße bewegten sich mechanisch auf die Eingangstür zu. Sie öffnete die Sicherheitsverriegelung und hörte Megans Stimme auf der anderen Seite.
„Sie ist da, Ray. Sie ist an der Tür. Gabby, mach auf, Süße! Geht es dir gut?“
Gabrielle öffnete die Türkette, sagte aber nichts. Sie konnte sich nicht entscheiden, ob sie ihrer Freundin versichern sollte, dass es ihr gut ging, oder ob sie Megan und Ray zurufen sollte, sie sollten schleunigst verschwinden.
Der Blick über die Schulter zu Lucan gab ihr auch keinen Hinweis. Seine scharfen Züge waren emotions- und regungslos. Sein silbriger Blick war auf die Tür geheftet, kühl und ohne zu blinzeln. Seine kräftigen Hände waren leer und hingen tatenlos herab, aber Gabrielle wusste, wie schnell er sich bewegen konnte.
Wenn er ihre Freunde töten wollte – oder auch sie selbst –, wäre es vorbei, ehe einer von ihnen auch nur Luft holen konnte.
„Lass sie rein“, knurrte er leise.
Gabrielle drehte langsam den Türknauf.
Die Tür war kaum einen Spalt geöffnet, als Megan hereindrängte, ihren Freund noch in Uniform direkt auf den Fersen.