Читаем 0701759001361827618 adrian lara - midnight breed 02 полностью

Sie konnte gar nicht weit genug wegkommen von dem, was sie eben gesehen hatte.

Sterling hatte sie gewarnt, dass die aufgezeichneten Satellitenbilder des Ordens sehr verstörend waren. Elise hatte geglaubt, sie wäre darauf vorbereitet. Doch ihren Sohn mit einigen anderen Rogues beim Abschlachten eines menschlichen Wesens zu sehen, übertraf ihre schlimmsten Erwartungen. Sie wusste, dieser Albtraum würde sie für den Rest ihres Lebens verfolgen.

Keuchend lehnte sie mit dem Rücken an der Wand, dann rutschte sie langsam zu Boden. Sie konnte ihre Tränen und ihr Schluchzen nicht länger zurückhalten. Die Quelle ihrer Verzweiflung und ihres Kummers waren Schuldgefühle: Sie warf sich bitter vor, nicht besser auf Camden aufgepasst zu haben. Sie hatte als selbstverständlich vorausgesetzt, dass er gutmütig war und zu gefestigt, als dass ihm etwas so Abscheuliches widerfahren konnte.

Ihr Sohn konnte unmöglich dieses blutrünstige Monster sein, das sie auf dem Computerbildschirm erblickt hatte. Sein wahres Selbst musste doch noch irgendwo da drin sein, zurückholbar. Noch immer zu retten. Noch immer Camden – ihr glückliches, geliebtes Kind.

„Geht es dir gut?“

Elise fuhr zusammen. Aufgeschreckt von der tiefen Männerstimme, sah sie mit verweinten Augen hoch. Unter einer Mähne lohfarbener Haare starrten smaragdgrüne Augen auf sie herab. Es war einer der beiden Krieger, die am frühen Abend zum Dunklen Hafen gekommen waren, um Sterling mitzunehmen – der kalte, beängstigende von ihnen, der sie festgehalten hatte, als sie Hilfe holen wollte.

„Bist du verletzt?“, fragte er. Peinlich berührt hockte sie auf dem Boden des Korridors, wo sie beschämenderweise zusammengebrochen war, und konnte ihn nur ansehen.

Er trat näher. Sein Gesicht war ausdruckslos, nichts war darin zu lesen. Er war nur halb angezogen – eine lose Jeans hing ungebührlich tief an seinen hageren Hüften, und ein komplett aufgeknöpftes weißes Hemd ließ seinen muskulösen Bauch und Brustkorb frei. Beeindruckende Dermaglyphen bedeckten ihn von der Leiste bis zu den Schultern. Die Dichte und Komplexität der Muster ließ keinen Zweifel daran, dass dieser Krieger ein Stammesmitglied der ersten Generation war, was bedeutete, dass er zu den Aggressivsten und Mächtigsten der Vampirrasse gehörte. Es gab nicht viele Gen-Eins-Vampire. Elise, die schon seit vielen Jahrzehnten in den Dunklen Häfen lebte, hatte noch nie zuvor einen gesehen.

„Ich bin Tegan“, sagte er und streckte seine Hand aus, um ihr aufzuhelfen.

Dieser Kontakt erschien ihr eindeutig zu forsch, zumal die riesigen Hände dieses Mannes erst vor wenigen Stunden ihre Schultern und ihre Taille umspannt gehalten hatten. Die nachklingende Hitze seiner Berührung hatte sie noch lange danach gespürt, als hätten sich die Umrisse seiner starken Finger in ihr Fleisch gebrannt.

Sie kam aus eigener Kraft auf die Beine und wischte sich ungeschickt die Tränen aus dem Gesicht. „Ich bin Elise“, sagte sie und deutete ein höfliches Kopfnicken an. „Ich bin Sterlings Schwägerin.“

„Bist du vor Kurzem Witwe geworden?“, fragte er, den Kopf leicht zur Seite geneigt, während sein durchdringender Blick sie Zentimeter für Zentimeter zu mustern schien.

Elise nestelte nervös an ihrer langen, scharlachroten Schärpe herum. „Ich habe meinen Gefährten vor fünf Jahren verloren.“

„Du bist immer noch in Trauer.“

„Ich liebe ihn noch.“

„Das tut mir leid“, sagte er ruhig, seine Miene ausdruckslos. „Und das mit deinem Sohn tut mir auch leid.“

Elise sah zu Boden. Sie war noch nicht bereit für Anteilnahme und Beileid – nicht, solange sie sich noch an die Hoffnung klammerte, Camden könnte zurückkommen.

„Es ist nicht deine Schuld. Du kannst nichts dafür, dass er damit angefangen hat. Und du bist auch nicht dafür verantwortlich, dass er nicht mehr damit aufhören wird.“

„Was?“, murmelte sie, verblüfft, dass Tegan von ihrem Schuldgefühl wusste, ihrer verborgenen Scham. Eine Handvoll Gen-Eins-Männer verfügte über die Fähigkeit des Gedankenlesens, aber sie hatte keinen eindringenden Geist wahrgenommen, und nur die allerschwächsten Menschen konnte man telepathisch scannen, ohne dass sie etwas davon mitbekamen.

„Woher können Sie …“

Dann verstand sie plötzlich, und es erklärte zugleich das seltsame Summen ihrer Sinne, als er sie früher am Abend berührt hatte, und die anhaltende Hitze, die seine Finger auf ihrer Haut hinterlassen hatten. Er konnte alle Gefühle sehen. Er sah sie entblößt, ohne Schutz und Fassade.

„Tut mir leid“, sagte er. „Es ist etwas, das ich nicht kontrollieren kann.“

Elise blinzelte ihre Verlegenheit weg. Sie wusste, was es hieß, mit einer solchen Gabe geschlagen zu sein. Ihre eigene übernatürliche Fähigkeit hatte sie zu einer Gefangenen der Dunklen Häfen gemacht – unfähig, das Bombardement der negativen Gedanken zu ertragen, die auf sie einstürmten, wann immer sie unter Menschen war.

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