Xiang Yu erklärte seinen Männern, dass sie ohne die Kochtöpfe und ohne Schiffe keine andere Wahl hätten, als bis zum Sieg zu kämpfen oder unterzugehen. Dieses Vorgehen brachte ihm zwar keinen Platz auf der Liste der beliebtesten Befehlshaber in der chinesischen Armee ein, bewirkte aber eine enorme Konzentration der Soldaten: Sie packten ihre Lanzen und Pfeile und Bögen, stürmten voller Ingrimm gegen den Feind an, gewannen neun Schlachten in Folge und fügten den Hauptkampfeinheiten der Qin-Dynastie eine vernichtende Niederlage zu.
Diese Anekdote über Xiang Yu ist deshalb bemerkenswert, weil sie dem normalen menschlichen Verhalten völlig widerspricht. In der Regel können wir den Gedanken, keine Wahlmöglichkeit zu haben, nicht ertragen. Mit anderen Worten: Die meisten Menschen hätten an Xiang Yus Stelle einen Teil der Armee losgeschickt, die Schiffe zu bewachen für den Fall, dass man sie für den Rückzug brauchte; und sie hätten einen anderen Teil zum Kochen abgestellt für den Fall, dass die Armee ein paar Wochen festsitzen sollte. Anderen Soldaten hätten sie befohlen, Papierrollen aus Reis zu stampfen für den Fall, dass der mächtige Qin ihre Kapitulationsbedingungen unterzeichnen musste (was natürlich höchst unwahrscheinlich war).
In der heutigen Welt arbeiten wir stets fieberhaft daran, uns alle Möglichkeiten offenzuhalten. Wir kaufen einen ausbaufähigen Computer für den Fall, dass wir unbedingt den neuesten Hightech-Schnickschnack brauchen. Wir schließen die Versicherung ab, die zusammen mit dem hochauflösenden Plasmafernseher angeboten wird, für den Fall, dass der große Bildschirm kaputtgeht. Wir lassen unsere Kinder an allen erdenklichen Aktivitäten teilnehmen für den Fall, dass eine davon ihre Leidenschaft für Sport, Klavierspielen, Französisch, biologischen Gartenbau oder Taekwondo entfacht. Und wir kaufen uns einen Luxus-Geländewagen, nicht weil wir wirklich damit rechnen, einmal querfeldein zu fahren, sondern weil wir, für den Fall, dass wir es doch tun, etwas Spielraum unter den Achsen haben möchten.
Auch wenn wir uns dessen nicht immer bewusst sind, zahlen wir einen Preis dafür, mehrere Optionen zu haben. Wir legen uns einen Computer zu, der mehr Funktionen hat, als wir benötigen, oder eine Stereoanlage mit einer unnötigen, teuren Zusatzgarantie. Und wir vergeben die Zeit unserer Kinder und unsere eigene – und die Chance, dass sie in einer Sache richtig gut werden –, wenn wir versuchen, ihnen Erfahrung in allen möglichen Bereichen zu verschaffen. Indem wir zwischen den Dingen hin und her springen, die wichtig sein könnten, vergessen wir, die notwendige Zeit für die Dinge aufzuwenden, die wirklich wichtig sind. Es ist ein Selbsttäuschungsmanöver, und zwar eines, in dem wir bemerkenswert geübt sind.
Vor diesem Problem stand auch einer meiner Studenten, ein äußerst begabter junger Mann namens Joe. Er hatte soeben die erforderlichen Proseminare hinter sich gebracht und musste sich nun für ein Hauptfach entscheiden. Aber welches sollte er wählen? Ihn faszinierte alles, was mit Architektur zu tun hatte; er besichtigte an den Wochenenden die Gebäude mit den eklektizistischen Fassaden in der Bostoner Umgebung und malte sich schon aus, wie er selbst solch stolze Bauten entwarf. Zugleich interessierte er sich für Informatik, und ihm gefiel besonders die Freiheit und Flexibilität, die dieser Bereich eröffnete. Und so sah er sich bereits in einem gutbezahlten Job bei einer dynamischen, spannenden Firma wie Google. Seine Eltern wollten, dass er Informatik studierte – außerdem, wer geht schon ans MIT, um dann Architekt zu werden? Dabei ist die Architektur-Fakultät dort sehr gut. Joes Liebe zur Architektur war nach wie vor groß.
Während ich mit Joe sprach, rang er frustriert die Hände. Die Seminare in Informatik und Architektur waren nicht miteinander vereinbar. Für das Fach Informatik musste er an Kursen über theoretische Informatik, künstliche Intelligenz, Computertechnik, Schaltkreise und Elektronik, Zeichen und Systeme und abstrakte Syntax teilnehmen, und er brauchte ein Labor für Softwareentwicklung. Für das Hauptfach Architektur musste er Kurse zur »Praxis des Architekturbüros«, »Grundlagen der bildenden Künste«, eine »Einführung in die Bautechnik«, eine »Einführung in die Bauinformatik«, eine »Einführung in Architekturgeschichte und -theorie« belegen und benötigte entsprechende Arbeitsräume.
Wie sollte er die eine oder die andere Laufbahn ausschließen? Hatte er erst einmal das Informatikstudium begonnen, würde es schwer sein, zur Architektur zu wechseln, und umgekehrt sah es nicht besser aus. Wenn er sich jedoch in beiden Fächern einschrieb, würde er wahrscheinlich nach den üblichen vier Jahren am MIT ohne Abschluss dastehen und ein weiteres (von seinen Eltern bezahltes) Jahr absolvieren müssen, um diesen nachzuholen. (Am Ende promovierte er in Informatik, fand aber bei seiner ersten Stelle die ideale Mischung: Er konstruierte Atom-U-Boote für die Marine.)