Wenn wir uns so in unserer Welt umsehen, hat ein Großteil der Unehrlichkeit mit Betrügereien zu tun, die nur indirekt mit Geld zusammenhängen. Unternehmen betrügen bei ihren Bilanzen, Führungskräfte betrügen, indem sie rückdatierte Aktienoptionen wahrnehmen; Lobbyisten betrügen, indem sie Wahlpartys für Politiker ausrichten; Pharmaunternehmen betrügen, indem sie Ärzten und ihren Frauen Luxusurlaube finanzieren.
Sicher, all diese Leute betrügen nicht mit schnödem Geld (außer gelegentlich). Und genau darum geht es mir: Betrügen ist viel leichter, wenn Geld nicht direkt im Spiel ist.
Glauben Sie, dass die für den Zusammenbruch von Enron Verantwortlichen – Kenneth Lay, Jeffrey Skilling und Andrew Fastow – alten Frauen Geld aus dem Portemonnaie gestohlen hätten? Sie raubten jedoch einer Menge alter Frauen Millionen Dollar in Form von Rentengeldern. Aber glauben Sie, sie hätten auch eine Frau mit einem Totschläger niedergestreckt und ihr Geld abgenommen? Vielleicht sind Sie anderer Meinung, aber ich neige dazu, diese Frage zu verneinen.
Was also erlaubt uns zu betrügen, wenn es um nicht unmittelbar monetäre Objekte geht, und was hält uns zurück, wenn es um Geld geht? Wie funktioniert dieser irrationale Impuls?
Da wir daran gewöhnt sind, unsere kleinen Schwindeleien zu rationalisieren, ist es häufig schwierig, sich ein klares Bild zu verschaffen, in welcher Weise nicht monetäre Objekte unsere Betrügereien beeinflussen. Wenn wir beispielsweise einen Bleistift entwenden, reden wir uns vielleicht ein, Büroartikel seien Teil unserer Gesamtentlohnung oder jeder lasse mal einen oder zwei Bleistifte mitgehen. Vielleicht sagen wir uns, hin und wieder eine Dose Cola aus dem Gemeinschaftskühlschrank zu stibitzen sei nicht schlimm, weil wir alle schon einmal erlebt haben, dass andere eine Dose Cola von uns genommen haben. Vielleicht glaubten Lay, Skilling und Fastow, es sei nicht so schlimm, die Bilanzen von Enron zu frisieren, da es nur eine vorübergehende Maßnahme sei, die wieder korrigiert werden könne, sobald das Geschäft wieder besser lief. Wer weiß?
Um zur wahren Natur von Unehrlichkeit und Betrug vorzustoßen, mussten wir also ein cleveres Experiment entwickeln, bei dem das fragliche Objekt der Begierde nur wenige Ausflüchte bot. Wir dachten nach. Angenommen, wir verwendeten einen gewöhnlichen Poker-Chip. Das ist kein Geld, aber ebenso wenig ein Produkt wie etwa Cola oder ein Bleistift. Würde er uns Einblick in den Prozess des Betrügens geben? Sicher waren wir uns nicht, aber es schien uns vernünftig. Und so machten wir, Nina, On und ich, einen Versuch.
Es geschah Folgendes: Nachdem die MIT-Studenten in der Mensa zu Mittag gegessen hatten, fragten wir sie, ob sie an einem fünfminütigen Experiment teilnehmen wollten. Sie müssten nur, erklärten wir, zwanzig einfache Rechenaufgaben lösen (zwei Zahlen finden, die zusammen zehn ergeben). Und sie würden 50 Cent für jede richtige Antwort bekommen.
Das Experiment begann jedes Mal gleich, doch dann gab es drei Varianten. Als die Teilnehmer der ersten Gruppe fertig waren, gaben sie ihre Arbeitsblätter dem Versuchsleiter, der ihre richtigen Antworten zählte und ihnen dafür jeweils 50 Cent gab. Die Teilnehmer der zweiten Gruppe wurden gebeten, ihre Arbeitsblätter zu zerreißen, die Papierfetzen in ihre Taschen oder Rucksäcke zu stecken und dem Versuchsleiter einfach ihr Ergebnis mitzuteilen. So weit war dieses Experiment also ähnlich wie die Ehrlichkeitstests, die in Kapitel elf beschrieben wurden.
Die Teilnehmer der dritten Gruppe aber erhielten eine wichtige andere Anweisung. Wie die vorige Gruppe sollten auch sie ihre Arbeitsblätter zerreißen und dem Versuchsleiter sagen, wie viele Fragen sie richtig beantwortet hatten. Doch der würde ihnen kein Bargeld geben, sondern stattdessen einen Poker-Chip pro angeblich gelöster Frage. Dann sollten die Probanden quer durch den Raum (etwa drei Meter) zu einem anderen Mitarbeiter gehen, der ihnen für jeden Chip 50 Cent geben würde.
Ahnen Sie vielleicht schon, was wir mit dieser Versuchsanordnung bezweckten? Würde sich das Einschieben eines Poker-Chips in den Verlauf der Transaktion – ein wertloses Stück Plastik, das kein Geld war – auf die Ehrlichkeit der Studenten auswirken? Würde der Poker-Chip die Studenten veranlassen, bei der Angabe der Zahl ihrer richtigen Antworten weniger ehrlich zu sein als diejenigen, die sofort Bargeld erhielten? Und wenn ja, wie weit würden sie dabei gehen?
Selbst wir waren von dem Ergebnis überrascht: Die Teilnehmer der ersten Gruppe (die keine Möglichkeit hatten, zu schwindeln) lösten durchschnittlich 3,5 Fragen – sie stellten unsere Kontrollgruppe dar.