Die Teilnehmer der zweiten Gruppe, die ihre Arbeitsblätter zerrissen hatten, behaupteten, im Schnitt 6,2 Fragen richtig beantwortet zu haben. Da wir davon ausgehen können, dass die Studenten nicht einfach durch das Zerreißen ihrer Arbeitsblätter klüger geworden waren, können wir sagen, dass die 2,7 Fragen, die sie angeblich über die Kontrollgruppe hinaus gelöst hatten, gemogelt waren.
Doch was die Unverfrorenheit des Betrugs betraf, schoss die dritte Gruppe den Vogel ab. Obwohl nicht klüger als die Teilnehmer der ersten beiden Gruppen, behaupteten sie, im Durchschnitt 9,4 Fragen gelöst zu haben – also 5,9 mehr als die Kontrollgruppe und 3,2 mehr als die zweite Gruppe.
Das bedeutet, dass die Studenten, sofern sich die Gelegenheit bot, unter normalen Umständen um 2,7 Punkte betrogen. Angesichts derselben Gelegenheit, jedoch unter der Voraussetzung, dass sie kein echtes Geld bekommen würden, verschlimmerte sich ihr Betrug um 5,9 Punkte – also um mehr als das Doppelte. Was für ein Unterschied zwischen einem Betrug um Geld und einem Betrug um etwas, das nur indirekt mit Geld zu tun hat!
Sollten Sie jetzt überrascht sein, bedenken Sie Folgendes. Von den 2000 Teilnehmern in unseren Ehrlichkeitstests (beschrieben in Kapitel elf) behaupteten nur vier, alle Probleme gelöst zu haben. Mit anderen Worten, die Rate des »totalen Betrugs« betrug zwei pro tausend.*
Bei dem Experiment jedoch, bei dem wir bei einer Gruppe eine Ersatzwährung einschoben (den Poker-Chip), schummelten 24 der 450 Teilnehmer voll und ganz. Wie viele dieser »extremen Betrüger« gehörten der Gruppe an, die Geld erhielt, wie viele der Gruppe, die zunächst Chips erhielt? Alle gehörten der letzten Gruppe an (24 von 150 Studenten betrogen hier voll und ganz, was einem Verhältnis von etwa 160 zu 1000 Teilnehmern entspricht). Das bedeutet, dass die Chips die Probanden nicht nur von moralischen Hemmungen »befreit« hatten, sondern gar nicht wenige von ihnen in einem Maß, dass sie schummelten, wie es nur eben ging.
Dieses Betrugsniveau ist zweifellos schlimm, aber es hätte schlimmer sein können. Vergessen wir nicht, dass die Poker-Chips in unserem Experiment binnen Sekunden in Geld umgewechselt wurden. Wie hoch wäre die Betrugsrate wohl gewesen, wenn dies ein paar Tage, Wochen oder Monate gedauert hätte (wie beispielsweise bei einer Aktienoption)? Hätten dann noch mehr Teilnehmer betrogen und in höherem Maße?
Wir wissen jetzt, dass die Menschen, sobald sie die Gelegenheit bekommen, betrügen. Doch wirklich seltsam ist, dass die meisten von uns das nicht voraussehen. Als wir Studenten bei einem anderen Experiment fragten, wer ihrer Meinung nach eher zum Betrug neige – diejenigen, die Geld, oder diejenigen, die Spielmarken erhielten –, meinten sie durchweg, die Betrugsrate sei in beiden Fällen dieselbe. Schließlich stünden die Spielmarken ja für richtiges Geld – und sie würden binnen Sekunden in Bargeld umgetauscht. So sagten sie voraus, dass die Teilnehmer die Chips wie richtiges Geld behandeln würden.
Doch wie sehr irrten sie sich da! Ihnen war nicht klar, wie schnell wir unsere Unehrlichkeit rationalisieren können, wenn es nicht direkt um Geld geht. Natürlich sind wir nicht weniger blind als sie, und das ist vielleicht der Grund, warum es so viel Betrug gibt. Vielleicht sind Jeff Skilling, Bernie Ebbers und all die Führungskräfte, die in den letzten Jahren belangt wurden, deshalb mitsamt ihren Unternehmen auf die schiefe Bahn geraten.
Natürlich haben wir an dieser Stelle alle einen Schwachpunkt. Denken Sie nur einmal an den so häufig vorkommenden Versicherungsbetrug. Schätzungen zufolge strecken Kunden, die Haus- oder Autoschäden melden, ihre Ansprüche um etwa zehn Prozent. (Sobald Sie einen übertrieben hohen Schaden melden, hebt die Versicherung selbstverständlich Ihre Prämie an, so dass Sie es mit gleicher Münze heimgezahlt bekommen.) Auch hier gilt, dass nur wenige Kunden völlig schamlose Forderungen stellen. Vielmehr wird beispielsweise beim Verlust eines 27-Zoll-Fernsehers ein 32-Zoll-Fernseher angegeben, statt eines 32-Zoll- ein 36-Zoll-Fernseher und so weiter. Dieselben Menschen würden höchstwahrscheinlich der Versicherung nicht direkt Geld stehlen (so verlockend das auch manchmal sein mag), aber zu melden, was sie gar nicht mehr haben –, und dessen Größe und Wert nur ein wenig nach oben zu korrigieren – macht die moralische Last ein wenig leichter.