Kath, die auf die Straßenkarte des Automobilclubs gesehen hatte, hatte es ihr tatsächlich rechtzeitig gesagt. Trotzdem war Krista links abgebogen, eigentlich ohne jeden einleuchtenden Grund. Es war ihr einfach ... richtig vorgekommen, so, als habe es sich von selbst ergeben. Erst später war ihr aufgefallen, dass sie sich recht seltsam verhalten hatte. Denn von Natur aus war sie doch gar nicht so impulsiv, schon gar nicht, wenn sie ein bestimmtes Ziel hatte. Sicher, sie hatte den abrupten Wechsel des Straßenzustands bemerkt: Die Asphaltdecke wies hier alle möglichen Risse auf und sah verblichen aus. Dabei hatte sie an die von der Sonne verbrannten Lehmbrocken denken müssen, mit denen sie als Kind auf dem Kartoffelacker von Onkel Albert gespielt hatte. Und die Straßen wurden jetzt auch schmaler. Aber die Umgebung hatte so heimatlich gewirkt. Die peinlich sauberen Bauernhöfe und kultivierten Felder hatten sie an Neufundland erinnert, wo sie geboren war.
Doch nach fünfundzwanzig oder dreißig Kilometern hatte der Asphalt plötzlich aufgehört, einfach so. Die unbefestigte Landstraße, die hier begann, war nur noch am Rand betoniert Rechts wurde sie von Ansiedlungen gesäumt, links von einem Weg für Dinosaurier oder sonstige Urviecher. Nachdem sie eine halbe Stunde auf dieser Straße geblieben waren, hatte Kath vorgeschlagen, einfach umzudrehen. Aber Krista hatte wieder nicht auf sie gehört, sondern war weitergefahren. Aus zwei Gründen: Zum einen hatte sich die Straße mehr als ein dutzend Mal geteilt, ohne dass an irgendeiner Abzweigung ein Hinweisschild aufgetaucht wäre - und das bedeutete, dass die Chance, bald wieder auf eine Stadt zu stoßen, gleich Null war. Zum anderen widersprach das Umkehren ihrem Naturell. So etwas hatte ihr noch nie gelegen. Manchmal war das auch gut so ... aber längst nicht immer.
Es dauerte nicht lange, da hatten sie vierzig oder mehr Kilometer ins Nirgendwo zurückgelegt. Krista nahm an, dass sie sich irgendwo südlich von Mount Hancock befinden mussten, einem mehr als dreizehnhundert Meter hohen Berg, der auf der Straßenkarte nur als winziges Dreieck verzeichnet war. Mit knapp fünfundzwanzig Stundenkilometern krochen sie auf einem vom Rinnsalen und Schlaglöchern durchzogenen Feldweg dahin, der links und rechts von Bäumen gesäumt wurde. Bäume, nichts als Bäume, deren Kronen einander berührten, deren Laub sich miteinander verschränkte, so dass sie wie durch einen Tunnel fuhren. Auf beiden Seiten setzten sich die Baumreihen bis ins Endlose fort. An manchen Stellen sah es so aus, als könnten sie die Weiterfahrt blockieren. Hin und wieder brachen die Strahlen der Spätnachmittagssonne durch den Tunnel, aber alles in allem wirkte die Atmosphäre düster.
Sie hatten jede Orientierung verloren.
Allerdings ließ sich Kath davon nicht aus der Fassung bringen, das war nicht ihre Art. Genau wie ihr Vater sah sie fast jede Situation von der Sonnenseite her. Sie schob ein Band ins Kassettendeck:
Sie fuhren weiter und weiter, nie schneller als fünfzig. An manchen Stellen bremste Krista so scharf ab, dass die Reifen quietschten und der Volvo fast zum Stehen kam. Die laute Musik machte ihr nichts aus - sie dämpfte das metallische Scheppern und Knirschen des Fahrgestells.
Die Straße, sofern man überhaupt von einer Straße sprechen konnte, war wirklich schlimm.
Kath hielt nach Tieren Ausschau und ließ ihren Blick von einer Seite zur anderen schweifen. Vorhin hatte sie ein paar Kaninchen entdeckt, außerdem ein Rehkitz, das noch wacklig auf seinen Beinen stand.
»He, Mom, is' doch toll hier, nich'?«, schrie sie so laut, dass sie die Musik übertönte.
Krista nickte und dachte bei sich:
Nach weiteren zwanzig Minuten - sie hatten nicht einmal zehn Kilometer hinter sich gebracht - entdeckte Kath in einer sonnigen Lichtung einen Mann, der gerade frisch gefällte Baumstämme auf den Anhänger eines kleinen, roten Traktors lud. Auf einem der Kotflügel lag eine Kettensäge, die im Sonnenschein funkelte.
»Sieh mal, Mom, da drüben.« Kath deutete auf die Lichtung.