Alle standen, wo sie vorher gestanden hatten; keiner rückt ab – aber es war, als habe sich um 509 bereits ein freier Platz gebildet, ein unsichtbarer, unüberschreitbarer Ring, der ihn isolierte: die Einsamkeit des Todes. »Verflucht!« sagte Rosen.
509 sah ihn an. Er hatte ihn morgens gerettet. Es war sonderbar, daß er es hatte tun können und daß er jetzt schon irgendwo war, von wo er keine Hand mehr ausstrecken konnte. »Gib mir die Uhr«, sagte er zu Lebenthal.
»Komm in die Baracke«, sagte Berger. »Wir müssen überlegen -«
»Nein. Jetzt kann man nur noch warten. Gib mir die Uhr. Und laßt mich allein -«
Er saß allein. Die Zeiger der Uhr schimmerten grünlich in der Finsternis Dreißig Minuten Zeit, dachte er. Zehn Minuten bis zu den Verwaltungsgebäuden; zehn Minuten für die Meldung und die Befehle; zehn Minuten zurück Ein Halbkreis des großen Zeigers – das war sein Leben jetzt.
Es war vielleicht mehr, dachte er plötzlich. Wenn Handke die Meldung wegen des Schweizer Geldes machte, würde die Politische Abteilung eingreifen. Sie würde versuchen, das Geld zu bekommen, und ihn so lange leben lassen, bis sie es hatte. Er hatte nicht daran gedacht, als er es Handke gesagt hatte – nur an die Habgier des Blockältesten. Es war eine Chance. Aber es war nicht sicher, ob Handke das Geld melden würde. Vielleicht meldete er, daß Weber 509 sehen wollte.
Bucher kam leise durch das Dunkel. »Hier ist noch eine Zigarette«, sagte er zögernd.
»Berger will, daß du hereinkommst und sie rauchst.«
Zigarette. Richtig, die Veteranen hatten noch eine. Eine von denen, die Lewinsky gebracht hatte, nach den Tagen im Bunker. Der Bunker – jetzt wußte er, wer die dunkle Figur gegen den Himmel gewesen war, an die Handke ihn erinnert hatte, und wo er sie gesehen hatte. Es war Weber gewesen. Weber, von dem alles ausgegangen war.
»Komm«, sagte Bucher.
509 schüttelte den Kopf. Die Zigarette. Die Henkersmahlzeit. Die Henkerszigarette.