Nach und nach kamen auch die anderen herauf. Ihre kleine Truppe war bedenklich zusammengeschrumpft – sie waren sechzehn gewesen, als sie von Went aufgebrochen waren: Del, Skar selbst, Bernec, Coar und zwölf Krieger. Jetzt waren sie noch zu elft – eine erschreckende Bilanz, dachte man, daß sie noch nicht einmal auf den wirklichen Gegner getroffen waren, ihn noch nicht einmal zu Gesicht bekommen hatten. Und wahrscheinlich würden noch mehr von ihnen sterben, ehe sie Went wieder erreichten.
Wenn sie es erreichten.
Skar wartete voller Ungeduld, bis der letzte Krieger hinaufgestiegen war und Bernec mit einem erleichterten Seufzer das Seil aus den Fingern gleiten ließ. Trotz der schlechten Beleuchtung konnte er erkennen, wie blaß er geworden war. Ein Netz feiner, glitzernder Schweißtröpfchen perlte von seiner Stirn.
»Ist dir übel?« fragte Skar besorgt.
Bernec schüttelte den Kopf. »Es . . . geht«, sagte er schwach. »Keine Zeit . . . auszuruhen. Wir . . . müssen weiter . . .«
Skar nickte, wenn auch voller Widerwillen. Es war Wahnsinn, jetzt weiterzugehen und sich in einen Kampf mit einem unbekannten Gegner zu stürzen. Die Männer brauchten nach der anstrengenden Kletterei eine Pause. Aber trotzdem verstand er Bernec nur zu gut. Keiner von ihnen hatte in dieser Nacht wirklich geschlafen, und jeder einzelne, auch er, mochte hundertmal durch die Höhle gegangen sein. Sie konnten nicht mehr warten. Jede Minute des Abwartens würde mehr an ihren Kräften zehren als eine Stunde des Marschierens. Welche Gefahren der Rückweg auch bergen mochte – sie konnten kaum schlimmer sein als die namenlosen Schrecken, mit denen ihr Unterbewußtsein das wogende Schwarz vor ihnen füllte.
»In Ordnung«, sagte er. »Aber bleib zurück, bis du dich erholt hast. Del und ich werden vorausgehen. Haltet die Bögen bereit.« Er wandte sich um, rief Del mit einem stummen Blick zu sich heran und zog sein Schwert aus der Scheide. Aber das Gefühl der Sicherheit, das ihm das vertraute Gewicht der Waffe sonst immer vermittelte, blieb diesmal aus. Er wartete, bis Del langsam herangekommen war, und lächelte fast, als müsse er sich selbst Mut machen.
»Gehen wir.«
Del nickte wortlos. Sein linker Arm hing in einer Schlinge, die Coar provisorisch aus einem zerrissenen Mantel geknüpft hatte, und die Narbe an seiner Schulter schien stärker zu pulsieren als bisher. Dels Gesicht wirkte leer und schlaff, wie immer, wenn es unter einer starken inneren Spannung stand. Aber die Hand, die das Schwert hielt, war ruhig.
Sie marschierten los, beide dicht an die geneigte Wand des Stollens gepreßt und zehn Schritte Abstand zu den nachfolgenden Kriegern haltend. Der Boden war lockerer als am Tag zuvor und schien das Geräusch ihrer Schritte aufzusaugen. Das Licht der beiden Fackeln in den Händen der Krieger hinter ihnen reichte nur wenige Schritte voraus, so daß sie ständig in eine schwarze, mit gleichmäßigem Tempo vor ihnen zurückweichende Wand hineinzulaufen schienen.
Der Gang zog sich endlos in die Länge. Einmal erschien es Skar, als schimmere weit vor ihnen ein trübes, graues Licht, aber es war nicht mehr als ein Spuk, den ihm seine überreizten Nerven vorgaukelten.
Del blieb plötzlich stehen. »Da vorne ist etwas«, flüsterte er.
Auch Skar glaubte irgendwo vor ihnen einen dunklen, formlosen Umriß zu erkennen. Er hob die Hand, um die anderen zum Stehenbleiben zu bewegen, duckte sich und schlich auf Zehenspitzen weiter. Ein plötzlicher Windstoß ließ das Licht der Fackel flackern und dann heller und intensiver auflodern, fast als wollten ihnen die Geister dieses unterirdischen Labyrinths ihre Hilflosigkeit mit aller Macht vor Augen führen.
Vor ihnen lagen die leblosen Körper von drei Männern.
Oder das, was davon übrig war . . .
Skar blieb abrupt stehen. Er mußte sich zwingen, nicht den Blick zu wenden und dem schrecklichen Anblick standzuhalten. Die drei Männer trugen Uniformen Ipcearns. In ihren verkrampften Händen lagen noch die Waffen – Schwerter und Dolche –, mit denen sie versucht hatten, sich zur Wehr zu setzen, als die schwarze Todeswoge über sie hinweggeflutet war. Der Boden unter ihnen war dunkel von geronnenem Blut, und die Körper schienen, dem Geruch nach zu urteilen, in der feuchtwarmen Tropenluft, die hier unten herrschte, bereits in Verwesung übergegangen zu sein. Ihre Gesichter waren zerstört, blutige Krater, in die nicht ein, sondern Dutzende von Khtaäm ihre Fänge gegraben und das Leben aus ihnen herausgerissen hatten, und unter der zerfetzten Kleidung schimmerten hellrote, zerfaserte Fleischlappen und weißliche Knochen.