Zdorab war in der falschen Epoche geboren worden. Bis jetzt hatte er das nicht begriffen. Oh, er wußte durchaus, daß er nicht dorthin paßte, wo er aufgewachsen war oder in Basilika gewohnt hatte, bevor Nafai ihm die Gelegenheit gab, sein Leben zu retten, indem er ihn in die Wüste begleitete. Doch nun, am Ende seiner zweiten Schicht als Lehrer der Kinder an Bord des Raumschiffs
Wer auch immer dieses Raumschiff mit seinem vorzüglichen Entwurf und seinen handwerklichen Qualitäten erbaut hatte, war zu bewundern. Doch erst, nachdem Zdorab auch in dem Schiff gelebt hatte, wurde ihm klar, daß er die Lebensweise der Erbauer auch schätzte. Natürlich waren sie auf das Schiffsinnere beschränkt, doch Zdorab hatte auf das Leben unter freiem Himmel noch nie gesteigerten Wert gelegt. Er vermißte keine Insekten. Er vermißte weder übermäßige Hitze oder Kälte noch Feuchtigkeit oder Trockenheit. Er vermißte weder die Ausscheidungen von Tieren noch die Gerüche seltsamer Dinge, die gerade gekocht oder schon längst verfault waren.
Doch nicht nur das Fehlen von Ärgernissen ließ ihn Geschmack am Leben an Bord des Schiffes finden, sondern in erster Hinsicht die positiven Dinge. Jede Nacht ein bequemes Bett. Eine tägliche Dusche mit sauberem Wasser. Ein Leben, das sich auf die Bibliothek konzentrierte, auf das Lernen und Lehren. Computer, auf denen man arbeiten, aber auch spielen konnte. Musik, die perfekt wiedergegeben wurde. Toiletten, die sich selbsttätig säuberten und denen keine üblichen Gerüche anhafteten. Kleidung, die man reinigen konnte, ohne sie waschen zu müssen. Mahlzeiten, die in wenigen Augenblicken zubereitet wurden. Und das alles, während man sich auf einer hundertjährigen Reise mit unvorstellbarer Geschwindigkeit zu einem anderen Stern befand.
Zdorab versuchte, es Nafai zu erklären, doch der junge Mann sah ihn nur verwirrt an und fragte: »Aber was ist mit den Bäumen?« Offensichtlich konnte Nafai es nicht erwarten, den neuen Planeten zu erreichen, bei dem es sich zweifellos um einen weiteren Ort mit jeder Menge Dreck und Käfern und schweißtreibender körperlicher Arbeit handeln würde. Zdorab hatte auf dem Weg durch die Wüste den gehorsamen Diener gespielt; er liebte geradezu die Tatsache, daß es auf diesem Raumschiff keine Diener gab, weil alle Arbeit entweder von Maschinen oder Computern erledigt wurde oder so leicht und einfach war, daß jeder sie tun konnte — und auch tat.
Und er mochte es, die Kinder zu unterrichten. Einige von ihnen waren jetzt, im sechsten Jahr der Reise, kaum noch Kinder. Ojkib zum Beispiel war inzwischen vierzehn und fast zwei Meter groß; er hatte also einen gewaltigen Schuß getan. Er war schlaksig, doch Zdorab hatte ihn bei Körperertüchtigungen in der Zentrifuge beobachtet, und sein Körper war drahtig und besaß harte, feste Muskeln. Aufgrund der Tatsache, daß Zdorab diesen wunderschönen jungen Körper sehen konnte und nur die Erinnerung einer Begierde empfand, wußte er, daß er inzwischen in mittlerem Alter war. Wenn es irgendeine Gnade der Natur gab, dann das Schwinden der männlichen Libido in mittlerem Alter. Einige Männer, die das Nachlassen der Begierde verspürten, unternahmen heldenhafte — oder kriminelle — Taten, um sich die Illusion einer erneuerten sexuellen Vitalität zu verschaffen, doch für Zdorab war es eine Erleichterung. Es war einfacher, von Ojkib und seinem sogar noch schöneren jüngeren Bruder Yasai als Schüler zu denken. Als Freunde seines Sohnes Padarok. Als mögliche Gefährten seiner Tochter Dabrota.
Mein Sohn, dachte er. Meine Tochter. Großer Gott. Wer hätte während seiner Jahre der verstohlenen Liebschaften in der Männerstadt vor den Toren Basilikas je gedacht, daß ich einmal einen Sohn und eine Tochter haben werde? Und würde irgendein Mann ohne meine Zustimmung an einen von beiden Hand legen, würde ich ihn umbringen.
Und dann dachte er: Ich bin also doch ein Dschungelgeschöpf.
Er würde sich heute wieder schlafen legen, und Schedemei würde aufwachen, um seine Stelle einzunehmen. Sie würden ein paar Stunden gleichzeitig wach sein; die Überseele hatte gesagt, sie hätten dafür genug Lebenserhaltung. Zdorab freute sich darauf, Schedemei zu sehen. Sie war seine beste Freundin, die einzige Person, die seine Geheimnisse, seine inneren Kämpfe kannte. Er konnte ihr fast alles sagen.