Zdorab wußte, daß Schedemei andere Vorstellungen von Loyalität hatte. Sie vertrat die Auffassung: alles oder nichts. Das rührte hauptsächlich daher, weil sie nicht die alptraumhafte Welt des verflochtenen Verrats kannte, in der Zdorab so viele Jahre lang gelebt hatte. Gaballufix’ ständige Ränke, bei denen das Vertrauen anderer Leute als Waffe betrachtet wurde, die man gegen sie richten konnte; die übliche Gewalt und Korruption des Lebens im Männerdorf, in das der verbessernde Einfluß der Frauen nicht vordrang; und natürlich die unbarmherzige Täuschung des Lebens eines Mannes, der Männer liebte. Man kann niemandem wirklich vertrauen, Schedemei, sagte er stumm.
Nicht mal der Überseele. Besonders nicht der Überseele.
Zdorab war lediglich durch den Index und später durch die normalen Computer des Raumschiffs mit dem Hauptcomputer in Kontakt getreten. Er hatte keine Träume, und soweit er wußte, gab die Überseele nichts um ihn und hörte auch seine Gedanken nicht. Wie sonst hätte er sein geheimes Weckprogramm installieren können? Die Überseele hatte keine besondere Verwendung für ihn, einmal davon abgesehen, daß er seinen Chromosomensatz zur Verfügung stellen mußte, damit Schedemei sich reproduzieren konnte. Na ja, das war schon in Ordnung — Zdorab hatte auch nicht besonders viel für die Überseele übrig. Er war fest davon überzeugt, daß der Überseele — ganz gleich, was sie beabsichtigte — nicht viel an der Behaglichkeit und dem Glück der Menschen lag, die sie manipulierte. Und da der Überseele nichts an ihm lag, war Zdorab die einzige Person in der ganzen Gruppe, die so etwas wie Zurückgezogenheit kannte.
Gleichzeitig
Er sagte die Worte stumm, bildete sie mit den Lippen, der Zunge und den Zähnen, während er bereits wußte, daß Elemak ihm keinen Glauben schenken würde; oder wenn doch, daß es ihm gleichgültig war.
Sie haben einen Fehler begangen, mich mit ihren Familien an der Reise teilnehmen zu lassen. Sie haben einen Fehler gemacht, mich zu zwingen, mich bei ihren tödlichen häuslichen Streitereien auf eine Seite zu schlagen.
Er stand vor Schedemeis Schlafkammer, als der Deckel zurückglitt und sie die Augen öffnete. Sie lächelte schwach.
»Hallo, du kluge und wunderschöne Dame«, sagte er.
»Es ist der schönste Traum einer jeden Frau, daß man ihr beim Aufwachen schmeichelt«, erwiderte Schedemei. »Leider bin ich noch von den Medikamenten benommen.«
»Welche Medikamente?« Zdorab half ihr, sich aufzusetzen, bevor er die Seite der Kammer aus der Verankerung löste und hinabklappte, damit sie hinauskonnte.
»Du meinst, ich bin von Natur aus geistig so langsam?«
Sie erhob sich und klammerte sich an ihn. Zum einen wollte sie gestützt werden, während sie versuchte, in der niedrigen Schwerkraft wieder allein auf den Beinen zu stehen, zum anderen war es eine Umarmung zwischen Freunden. Er reagierte natürlich und erklärte ihr, welche Fortschritte die Kinder gemacht hatten, seit sie zum letztenmal wach gewesen war. »Das könnte die beste Schule sein, die es jemals gegeben hat«, sagte er.
»Und wie bequem ist es doch, daß die Lehrer zwischen den Semestern schlafen gelegt werden«, erwiderte Schedemei.
Sie verbrachten ihre gemeinsamen Stunden damit, sich über die Kinder zu unterhalten, besonders über ihre eigenen, und über alles zu sprechen, das Schedemei in den Sinn kam. Aber sie sprachen nicht über das Problem, das Zdorab am dringlichsten beschäftigte, und Schedemei bemerkte, daß etwas nicht in Ordnung war.
»Was ist los?« fragte sie. »Du verschweigst mir etwas.«
»Was denn?« antwortete er.
»Irgendwas macht dir Sorgen.«
»Mein Leben ist eine einzige Sorge«, sagte er. »Mir gefällt es nicht, in die Schlafkammer zu klettern.«
Sie lächelte schwach. »Na schön, du mußt es mir nicht sagen.«
»Ich kann dir nicht sagen, was ich selbst nicht weiß«, erwiderte er, und da diese Bemerkung ein Körnchen Wahrheit enthielt — er wußte ja nicht, ob die Überseele sein Programm entfernt hatte oder nicht —, erlaubte Schedemeis Sinn für die Wahrheit ihr, ihm zu glauben, und sie entspannte sich.
Einige Stunden später verabschiedete Zdorab sich von den Kindern mit einem Ritual, an das sie sich mittlerweile gewöhnt hatten, da alle ihre Lehrer auf diese Weise kamen oder gingen. Ein Händedruck oder eine Umarmung, je nachdem, wie alt das betreffende Kind war; ein Kuß für seine eigenen Kinder, ob es ihnen nun gefiel oder nicht; und dann geleiteten Nafai und Schedemei ihn zu seiner Kammer und halfen ihm hinein.