Verschlafen fragte Bonpland, ob er befürchte, jemand könne ihm zuvorkommen. Am Ende der Welt, nach all den Jahrhunderten, in denen der gottverdammte Fluß keinen Menschen interessiert habe.
Man wisse nie, sagte Humboldt.
Das Gebiet war auf keiner Karte verzeichnet, sie konnten nur ahnen, wohin das Wasser sie trug. Die Baumstämme standen so eng, daß man nicht ans Ufer konnte, und alle paar Stunden benetzte feiner Sprühregen die Luft, ohne Kühlung zu bringen oder die Insekten zu vertreiben. Bonplands Atem machte pfeifende Geräusche.
Es sei nichts, sagte er hustend, er wisse bloß nicht, ob das Fieber in ihm oder in der Luft sei. Als Arzt empfehle er, nicht tief einzuatmen. Er vermute, die Wälder strömten ungesunde Dämpfe aus. Vielleicht liege es auch an den Leichen.
Ausgeschlossen, sagte Humboldt. An den Leichen liege es nicht.
Endlich fanden sie eine Stelle zum Anlegen. Mit Macheten und Beilen hackten sie einen kleinen Platz für die Übernachtung frei. Über den Flammen ihres Lagerfeuers knallten zerplatzende Moskitos. Eine Fledermaus biß den Hund in die Nase, er blutete stark, drehte sich brummend um sich selbst und wollte nicht ruhig werden. Er flüchtete unter Humboldts Hängematte, sein Knurren hinderte sie lange am Einschlafen.
Am nächsten Morgen brachten Humboldt und Bonpland es nicht fertig, sich zu rasieren, ihre Gesichter waren von den Insektenstichen zu geschwollen. Als sie ihre Beulen im Fluß kühlen wollten, bemerkten sie, daß der Hund fehlte. Humboldt lud hastig das Gewehr.
Keine gute Idee, sagte Carlos. Der Urwald sei nirgendwo dichter, die Luft zu feucht für Waffen. Den Hund habe ein Jaguar geholt, da sei nichts zu machen.
Ohne zu antworten, verschwand Humboldt zwischen den Bäumen.
Neun Stunden später waren sie immer noch da. Zum siebzehnten Mal kam Humboldt zurück, trank Wasser, wusch sich im Fluß und wollte wieder los. Bonpland hielt ihn auf.
Es helfe nichts, der Hund sei weg.
Nie und nimmer, sagte Humboldt. Er gestatte es nicht.
Bonpland legte ihm die Hand auf die Schulter. Der Hund sei verdammt noch einmal tot!
Vollkommen tot, sagte Julio.
Ganz und gar hinüber, sagte Mario.
Das sei, sagte Carlos, gewissermaßen der toteste Hund aller Zeiten.
Humboldt sah sie alle, einen nach dem anderen, an. Er öffnete und schloß den Mund, dann legte er das Gewehr zu Boden.
Erst Tage darauf kam wieder eine Siedlung in Sicht. Ein vom Schweigen blöd gewordener Missionar begrüßte sie stotternd. Die Menschen waren nackt und bunt gefärbt: Einige hatten sich Fräcke auf die Körper gemalt, andere Uniformen, die sie selbst nie gesehen haben konnten. Humboldts Miene hellte sich auf, als er erfuhr, daß an diesem Ort Curare angefertigt wurde.
Der Curaremeister war eine würdevolle, priesterlich hagere Gestalt. So, erklärte er, schabe man die Zweige, so zerreibe man die Rinde auf einem Stein, so fülle man, Vorsicht, den Saft in einen Bananenblatttrichter. Auf den Trichter komme es an. Er bezweifle, daß Europa etwas ähnlich Kunstvolles hervorgebracht habe.
Nun ja, sagte Humboldt. Es sei zweifellos ein sehr respektabler Trichter.
Und so, sagte der Meister, dampfe man den Stoff in einem Tongefäß ab, aufpassen bitte, selbst das Hinschauen sei gefährlich, so füge man eingedickten Blätteraufguß hinzu. Und dies, er hielt Humboldt das Tonschälchen hin, sei nun das stärkste Gift dieser und jeder anderen Welt. Damit könne man Engel töten!
Humboldt fragte, ob man es trinken könne.
Man trage es auf Pfeile auf, sagte der Meister. Es zu trinken habe noch keiner versucht. Man sei ja nicht wahnsinnig.
Aber die getöteten Tiere könne man sofort essen?
Das könne man, sagte der Meister. Das sei der Sinn der Sache.
Humboldt betrachtete seinen Zeigefinger. Dann steckte er ihn in die Schüssel und leckte ihn ab.
Der Meister stieß einen Schrei aus.
Keine Sorge, sagte Humboldt. Sein Finger sei heil, seine Mundhöhle auch. Wenn man keine Wunden habe, müsse der Stoff verträglich sein. Die Substanz wolle erforscht werden, er habe es also zu riskieren. Übrigens bitte er um Verzeihung, ihm sei ein wenig schwach zumute. Er sank auf die Knie und blieb eine Weile auf der Erde sitzen. Er rieb sich die Stirn und summte leise vor sich hin. Dann stand er behutsam auf und kaufte dem Meister alle Vorräte ab.