Читаем Die Vermessung der Welt полностью

Krankheiten außer der Gicht, ein dritter schlug sich mit

einem Beil die linke Hand ab, welche er dann herumgeben und von der Menge untersuchen ließ, während er

unter Schmerzen wartete, bis er sie zurückbekam. Er

preßte sie an den Stumpf und beträufelte sie mit Tinktur.

Bleich vom Blutverlust hieb er dann ein paarmal auf den

Tisch, um zu zeigen, daß sie angewachsen war. Die Umstehenden klatschten und kauften ihm alle Tinkturvorräte

ab. Ein vierter hatte Wundermittel gegen Gicht, ein

fünfter billig gedruckte illustrierte Broschüren. In einer

davon wurde die Geschichte eines wundertätigen Priesters

erzählt, in einer anderen das Leben des Indiojungen, dem

die Madonna von Guadaloupe erschienen war, in einer

dritten die Abenteuer eines deutschen Barons, der ein

Boot durch die Hölle des Orinoko gesteuert und den

höchsten Berg der Welt bestiegen hatte. Die Bilder waren

gar nicht übel, besonders Humboldts Uniform war gut

getroffen.

Er fand Bonpland, wo er ihn vermutet hatte. Das Haus

war aufwendig geschmückt, die Fassade bedeckt mit chinesischen Kacheln. Ein Pförtner bat ihn zu warten. Minuten später tauchte Bonpland in hastig übergestreifter

Kleidung auf.

Humboldt fragte, wie oft er ihn noch an ihre Abmachung erinnern solle.

Das sei ein Hotel wie jedes andere, antwortete Bonpland, und die Abmachung sei eine Zumutung. Er habe

ihr nie zugestimmt.

So oder so, sagte Humboldt, es sei jedenfalls eine Abmachung.

Bonpland forderte ihn auf, sich die Predigten zu

sparen.

Am nächsten Tag erstiegen sie den Popocatepetl. Ein

Pfad führte fast bis zum Gipfel: Gomez und Wilson,

der Bürgermeister der Hauptstadt, drei Zeichner und

fast hundert Schaulustige folgten ihnen. Wann immer

Bonpland eine Pflanze abschnitt, mußte er sie herumzeigen. Meist kam sie so abgegriffen zurück, daß er sie

nicht mehr in die Botanisiertrommel zu legen brauchte.

Als Humboldt vor einem Erdloch seine Atemmaske

anschnallte, brandete Applaus auf. Und während er mit

dem Barometer die Höhe des Gipfels bestimmte und

sein Thermometer in den Krater hinabließ, verkauften

Händler Erfrischungen.

Beim Abstieg sprach sie ein Franzose an. Er heiße

Duprés und schreibe für mehrere Pariser Zeitschriften.

Eigentlich sei er wegen der von Baudin geleiteten Expedition der Akademie angereist. Aber nun sei Baudin

nicht aufgetaucht, und er habe kaum sein Glück fassen

können, als er erfahren habe, daß ein viel Größerer im

Land sei.

Für einen Moment gelang es Humboldt nicht, ein

selbstgefälliges Lächeln zu unterdrücken. Er hoffe immer

noch, sich Baudin anzuschließen und mit ihm zu den

Philippinen zu fahren. Er trage sich mit dem Gedanken,

den Kapitän in Acapulco abzufangen, damit man sich gemeinsam der Untersuchung der seligen Inseln widmen

könne.

Gemeinsam, wiederholte Duprés. Der seligen Untersuchung der Inseln.

Der Untersuchung der seligen Inseln!

Duprés strich es durch, schrieb es neu und bedankte

sich.

Dann besuchten sie die Ruinen von Teotihuacan. Sie

schienen zu groß für menschliche Erbauer. Auf einer geraden Chaussee gelangten sie zu einem von Tempeln umstandenen Platz. Humboldt setzte sich auf den Boden und

rechnete, die Menge beobachtete ihn aus der Entfernung.

Bald wurde es den ersten langweilig, manche begannen zu

schimpfen, nach einer Stunde waren die meisten und

nach neunzig Minuten die allerletzten gegangen. Nur die

drei Journalisten blieben. Bonpland kam verschwitzt von

der Spitze der größten Pyramide zurück.

So hoch habe er es sich nicht vorgestellt!

Humboldt, den Sextanten in Händen, nickte. Vier Stunden später, längst war es Abend, saß er immer

noch da, in der gleichen Haltung über das Papier

gebeugt, Bonpland und die Journalisten waren frierend

eingeschlafen. Als Humboldt kurz darauf seine Instrumente einpackte, wußte er, daß die Sonne am Tag des

Solstitiums von der Chaussee aus gesehen genau über der

Spitze der größten Pyramide auf-und durch die Spitze

der zweitgrößten unterging. Diese ganze Stadt war ein

Kalender. Wer hatte das erdacht? Wie gut hatten die

Menschen die Sterne gekannt, und was hatten sie mitteilen wollen? Seit über tausend Jahren war er der erste, der

ihre Botschaft lesen konnte.

Warum er so bedrückt sei, fragte Bonpland, der vom

Klappern der Instrumente wach geworden war. So viel Zivilisation und so viel Grausamkeit, sagte

Humboldt. Was für eine Paarung! Gleichsam der Gegensatz zu allem, wofür Deutschland stehe.

Vielleicht sei es Zeit zur Heimkehr, sagte Bonpland. In die Stadt?

Nicht in diese.

Eine Weile sah Humboldt in den bestirnten Nachthimmel. Gut, sagte er dann. Er werde diese erschreckend

intelligent geschichteten Steine verstehen lernen, als wä

ren sie Teil der Natur. Danach werde er Baudin allein zu

den Philippinen aufbrechen lassen und das erste Schiff

nach Nordamerika nehmen. Von dort würden sie zurück

nach Europa fahren.

Zuvor aber reisten sie zum Vulkan Jorullo, der vor

fünfzig Jahren ganz plötzlich unter Donner, Feuersturm

und Ascheregen aus der Ebene gestiegen war. Als er in der

Ferne auftauchte, klatschte Humboldt vor Aufregung in

die Hände. Dort hinauf müsse er noch, diktierte er den

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