Journalisten, davon sei die endgültige Widerlegung der
neptunistischen Thesen zu erwarten. Wenn er an den
großen Abraham Werner denke, er buchstabierte den
Namen, tue ihm das beinahe leid.
Am Fuß des Vulkans empfing sie der Gouverneur der
Provinz Guanajuato mit großem Gefolge, darunter der
Erstbesteiger, ein alter Herr namens Don Ramon Espeide. Der bestand darauf, die Expedition anzuführen. Die
Sache sei zu gefährlich, um sie Laien zu überlassen! Humboldt beteuerte, daß er mehr Berge erklettert habe
als irgendein Mensch.
Ungerührt gab Don Ramón ihm den Ratschlag, nicht
direkt in die Sonne zu schauen und bei jedem Aufsetzen
des rechten Fußes die Madonna von Guadaloupe anzurufen.
Sie kamen schleppend voran. Immer wieder mußten
sie auf den einen oder anderen Begleiter warten; besonders Don Ramón rutschte immer wieder aus oder konnte
vor Erschöpfung nicht weiter. Regelmäßig ließ sich
Humboldt unter staunenden Blicken auf alle viere nieder,
um mit dem Hörrohr den Felsboden zu behorchen. Oben
angekommen, seilte er sich in den Krater ab.
Der Kerl, sagte Don Ramón, sei ja vollkommen irre, so
etwas habe er noch nie erlebt.
Als man Humboldt wieder heraufzog, war er grün
angelaufen, hustete erbärmlich, und seine Kleidung war
angesengt. Der Neptunismus, rief er blinzelnd, sei mit
diesem Tag zu Grabe getragen!
Ein Jammer eigentlich, sagte Bonpland. Er habe Poesie
gehabt.
In Veracruz nahmen sie das erste Schiff zurück nach
Havanna. Er müsse zugeben, sagte Humboldt, während
die Küste im Dunst versank, er sei froh, daß es zu Ende
gehe. Er lehnte sich an die Reling und schaute mit schmalen Augen in den Himmel. Bonpland fiel auf, daß er zum
erstenmal nicht mehr wie ein junger Mann aussah.
Sie hatten Glück: In Havanna legte gerade ein Schiff ab,
das den Kontinent hinauf und dann den Delaware-Fluß
entlang nach Philadelphia fahren würde. Humboldt
wandte sich an den Kapitän, zeigte einmal noch seinen
spanischen Paß und erbat eine Passage.
Herrgott, sagte der Kapitän. Sie!
Himmel, sagte Humboldt.
Ratlos sahen sie einander an.
Er halte das für keine gute Idee, sagte der Kapitän. Er müsse aber nun einmal dort hinauf, sagte Humboldt und versprach, unterwegs keine Positionsbestimmungen durchzuführen. Er vertraue ihm völlig. Die Ozeanüberquerung damals habe er als Glanzstück der Seefahrerkunst in Erinnerung. Trotz der Seuche, des un
fähigen Schiffsarztes und der falschen Berechnungen. Und dann ausgerechnet Philadelphia, sagte der Kapitän.
Seinetwegen könnten alle aufständischen Kolonialisten
krepieren, die dort und die hier.
Er habe vierzehn Kisten mit Gesteins-und Pflanzenproben, sagte Humboldt, dazu vierundzwanzig Käfige
mit Affen und Vögeln sowie einige Glasschatullen mit
Insekten und Spinnentieren, die nach umsichtiger Behandlung verlangten. Wenn es recht sei, könne sofort
aufgeladen werden.
Dies sei ein belebter Hafen, sagte der Kapitän. Sicher
komme bald ein anderes Schiff.
Er hätte nichts dagegen, sagte Humboldt. Aber er habe
nun einmal diesen Paß, und die katholischen Majestäten
erwarteten, daß er sich beeile.
Humboldt hielt sich an sein Versprechen und mischte
sich nicht in die Navigation. Wäre nicht ein Affe ausgebrochen, der ganz allein den halben Proviant verzehrte,
zwei Taranteln befreite und in der Kapitänskajüte alles in
Fetzen riß, wäre die Reise ohne Störungen vorbeigegangen. Er verbrachte die Fahrt auf dem Hinterdeck,
schlief mehr als sonst und setzte Briefe an Goethe, seinen
Bruder und Präsident Thomas Jefferson auf. Während in Philadelphia die Kisten abgeladen wurden, verabschiede
ten er und der Kapitän sich von neuem.
Er hoffe sehr auf ein Wiedersehen, sagte Humboldt
steif.
Gewiß nicht mehr als er, antwortete der Kapitän, dessen
Uniform notdürftig geflickt worden war.
Beide salutierten.
Eine Kutsche wartete, um sie in die Hauptstadt zu
bringen. Ein Bote übergab eine formelle Einladung: Der
Präsident ersuche um die Ehre, sie im neu gebauten Regierungssitz beherbergen zu dürfen; er sei begierig, alles
und mehr über Herrn von Humboldts bereits legendäre
Reise zu erfahren.
Erhebend, sagte Duprés.
Ein zu kleines Wort, sagte Wilson. Humboldt und Jefferson! Und er dürfe dabeisein!
Wieso Herrn von Humboldts Reise, fragte Bonpland.
Wieso eigentlich niemals die Humboldt-Bonplandsche
Reise? Oder die Bonpland-Humboldt-Reise? Die Bonpland-Expedition? Ob ihm das einmal jemand erklären
könne?
Ein Hinterwäldlerpräsident, sagte Humboldt. Wen interessiere schon, was der denke!
Die Stadt Washington befand sich im Aufbau. Überall
waren Baugerüste, Gruben und Ziegelhaufen, überall
hörte man Sägen und Hammerschläge. Der Regierungssitz, gerade fertiggestellt und noch nicht zu Ende
gestrichen, war ein klassizistischer Kuppelbau, umgeben
von Säulen. Er freue sich, sagte Humboldt, als sie aus der
Kutsche stiegen, einmal wieder ein Zeugnis für den
Einfluß des großen Winckelmann zu sehen!
Ein Spalier ungeschickt salutierender Soldaten hatte
Aufstellung genommen, ein Trompetensignal wehte
durch den Himmel, eine Fahne blähte sich im Wind.