Ich schlug meinem Vogt zum Abschied noch einmal den Schädel auf die Straße und ließ dann los. Lenz stand schon neben Köster. Seine Jacke war zerrissen. Er blutete aus dem Mundwinkel. Der Kampf schien unentschieden gewesen zu sein, denn sein Vogt blutete zwar auch, stand aber ebenfalls. Die Niederlage des ältesten Bruders hatte alles entschieden. Keiner wagte noch ein Wort. Sie halfen dem ältesten auf und gingen zu ihrem Wagen. Der Unverletzte kam noch einmal zurück und holte den Wagenheber. Er schielte Köster an, als wäre er der Teufel. Dann rasselte der Mercedes los.
Auf einmal war der Schmied wieder da.»Die haben genug«, sagte er.»So was ist denen lange nicht passiert. Der älteste hat schon wegen Totschlag gesessen.«
Niemand antwortete ihm. Köster schüttelte sich plötzlich.»Schweinerei«, sagte er. Dann drehte er sich um.»Los!«
»Bin schon da«, erwiderte Jupp und rollte den Schleppesel heran.
»Komm mal her«, sagte ich.»Ab heute bist du Unteroffizier und darfst mit Zigarrenrauchen anfangen.«
Wir bockten den Wagen auf und befestigten ihn mit dem Drahtseil hinter Karl.»Glaubst du, daß es ihm nicht schadet?«fragte ich Köster.»Karl ist schließlich ein Rennpferd und kein Packesel.«
Er schüttelte den Kopf.»Ist ja nicht weit. Und ebene Straße.«Lenz setzte sich in den Stutz, und wir fuhren langsam los. Ich drückte mein Taschentuch gegen die Nase und schaute über die abendlichen Felder und in die sinkende Sonne. Es war ein ungeheurer, durch nichts zu erschütternder Friede darin, und man spürte, daß es der Natur völlig gleichgültig war, was dieses bösartige Ameisengewimmel, Menschheit genannt, auf der Welt trieb. Es war viel wichtiger, daß die Wolken jetzt allmählich zu goldenen Gebirgen wurden, daß die violettfarbenen Schatten der Dämmerung lautlos vom Horizont heranwehten, daß die Lerchen aus der grenzenlosen Weite des Himmels heimkehrten in ihre Ackerfurchen und daß es langsam Nacht wurde.
Wir fuhren auf unsern Hof ein. Lenz kletterte aus dem Stutz und nahm feierlich den Hut vor ihm ab.»Sei gegrüßt, Gesegneter! Du kommst aus traurigem Anlaß hierher, aber uns wirst du, mit liebevollem Auge oberflächlich geschätzt, etwa drei- bis dreieinhalbtausend Mark einbringen. Und jetzt gebt mir ein großes Glas Kirschwasser und ein Stück Seife – ich muß die Familie Vogt loswerden!«
Wir tranken alle ein Glas, dann gingen wir sofort daran, den Stutz möglichst weit auseinanderzunehmen. Es genügte nämlich nicht immer, daß der Besitzer allein den Auftrag zur Reparatur gab; – oft kam nachträglich noch die Versicherungsgesellschaft um den Wagen anderswohin, in eine ihrer Vertragswerkstätten, zu geben. Je weiter wir deshalb kamen, um so besser war es. Die Kosten für die Neumontage waren dann schon so hoch, daß es billiger war, den Wagen bei uns zu lassen. Es war dunkel, als wir aufhörten.»Fährst du heute abend noch Taxi?«fragte ich Lenz.
»Ausgeschlossen«, erwiderte Gottfried.»Man soll das Geldverdienen auf keinen Fall übertreiben. Der Stutz genügt mir.«
»Mir nicht«, sagte ich.»Wenn du nicht fährst, werde ich von elf bis zwei die Nachtlokale abgrasen.«
»Laß das lieber«, schmunzelte Gottfried.»Sieh statt dessen mal in den Spiegel. Du hast in letzter Zeit Pech mit deiner Nase. Mit der Runkelrübe steigt kein Mensch bei dir ein. Geh ruhig nach Hause und leg dir Kompressen drauf.«
Er hatte recht. Es ging wirklich nicht mit meiner Nase. Ich verabschiedete mich deshalb bald und ging nach Hause. Unterwegs traf ich Hasse und ging mit ihm das letzte Stück zusammen. Er sah verstaubt und elend aus.»Sie sind dünner geworden«, sagte ich.
Er nickte und erzählte mir, daß er abends nicht mehr richtig äße. Seine Frau sei fast jeden Tag bei den Bekannten, die sie gefunden hätte, und käme immer erst spät nach Hause. Er sei froh, daß sie Unterhaltung habe, aber abends hätte er keine Lust, sich allein etwas zu essen zu machen. Er hätte auch nicht viel Hunger; er sei viel zu müde dazu.
Ich sah ihn von der Seite an, während er mit hängenden Schultern neben mir herging. Vielleicht glaubte er wirklich, was er sagte, aber es war doch jammervoll, es mit anzuhören. Es war nur ein bißchen Sicherheit und ein bißchen Geld, woran diese Ehe und dieses sanfte, bescheidene Leben scheiterte. Ich dachte daran, daß es Millionen solcher Menschen gab und daß es immer nur das bißchen Sicherheit und das bißchen Geld war. Das Dasein war in einer entsetzlichen Weise zusammengeschrumpft zu dem armseligen Kampf um die nackte Existenz. Ich dachte an die Prügelei heute nachmittag, ich dachte an das, was ich in den letzten Wochen gesehen hatte, ich dachte an alles, was ich schon gemacht hatte, und dann dachte ich an Pat und hatte plötzlich das Gefühl, daß das nie zusammenkommen könnte. Der Sprung war zu groß, das Leben war zu dreckig geworden für das Glück, es konnte nicht dauern, man glaubte nicht mehr daran, es war eine Atempause, aber kein Hafen.
Wir stiegen die Treppe hinauf und schlossen die Tür auf. Auf dem Vorplatz blieb Hasse stehen.»Also dann auf Wiedersehen…«