Ich sah in das freundliche, runde Gesicht eines Pastors und atmete auf. Ich hielt mich schon für gerettet, weil ich wußte, daß er mich beim Beten nicht unterbrechen würde – da bemerkte ich, daß ich unglücklicherweise die letzte Station des Rosenkranzes erwischt hatte. Selbst wenn ich noch so langsam betete, mußte ich in ein paar Minuten fertig sein, und das war es auch, worauf er anscheinend wartete. Es hatte keinen Zweck, die Sache weiter hinzuziehen. Ich ging also langsam und unbeteiligt dem Ausgang zu.
»Guten Morgen«, sagte der Pfarrer.»Gelobt sei Jesus Christus!«
»In Ewigkeit, Amen!«erwiderte ich. Es war der kirchliche Gruß der Katholiken.
»Es ist selten, daß jemand um diese Zeit schon hier ist«, sagte er freundlich und sah mich aus hellen blauen Kinderaugen an.
Ich murmelte irgend etwas.
»Leider ist es selten geworden«, fuhr er etwas bekümmert fort.»Besonders Männer sieht man kaum noch den Kreuzweg beten. Ich freue mich deshalb über Sie und habe Sie darum auch angesprochen. Sie haben sicher eine besondere Bitte, daß Sie so früh und bei diesem Wetter gekommen sind…«
Ja, daß du weitergehst, dachte ich und nickte erleichtert. Bis jetzt hatte er anscheinend nichts von den Blumen gemerkt. Jetzt galt es nur, ihn rasch loszuwerden, damit er nicht noch aufmerksam wurde.
Er lächelte mich wieder an.»Ich bin im Begriff, meine Messe zu lesen. Da werde ich Ihre Bitte in mein Gebet mit einschließen.«
»Danke«, sagte ich überrascht und verlegen.
»Ist es für das Seelenheil eines Verstorbenen?«fragte er.
Ich starrte ihn einen Augenblick an, und meine Blumen begannen zu rutschen.»Nein«, sagte ich dann rasch und preßte den Arm fest gegen den Mantel.
Er blickte mir mit seinen klaren Augen arglos forschend ins Gesicht. Wahrscheinlich wartete er darauf, daß ich ihm sagen würde, um was es sich handle. Aber mir fiel nichts Rechtes im Moment ein, und ich hatte auch etwas dagegen, ihn mehr zu belügen, als nötig war. Deshalb schwieg ich.
»Ich werde also um Hilfe in der Not für einen Unbekannten beten«, sagte er schließlich.
»Ja«, erwiderte ich,»wenn Sie das tun wollen. Ich danke Ihnen auch sehr.«
Er wehrte lächelnd ab.»Sie brauchen mir nicht zu danken. Wir stehen alle in Gottes Hand.«Er sah mich noch einen Augenblick an, den Kopf ein wenig schräg vorgeneigt, und mir schien, als husche irgend etwas über seine Züge.»Vertrauen Sie nur«, sagte er.»Der himmlische Vater hilft. Er hilft immer, auch wenn wir es manchmal nicht verstehen.«Dann nickte er mir zu und ging.
Ich blickte ihm nach, bis ich die Tür hinter ihm zuklappen hörte. Ja, dachte ich, wenn es so einfach wäre! Er hilft, er hilft immer! Aber hat er Bernhard Wiese geholfen, als er mit einem Bauchschuß schreiend im Houtholster Wald lag, hat er Katczinky geholfen, der in Handzaeme fiel und eine kranke Frau zurückließ und ein Kind, das er noch nicht gesehen hatte, hat er Müller geholfen und Leer und Kemmerich, hat er dem kleinen Friedmann geholfen und Jürgens und Berger und Millionen anderen? Verdammt, es war etwas zuviel Blut geflossen in der Welt für diese Art von Glauben an den himmlischen Vater!
Ich brachte die Blumen nach Hause, dann fuhr ich den Wagen zur Werkstatt und ging zurück. Aus der Küche kam jetzt der Geruch von frisch aufgebrühtem Kaffee, und ich hörte Frida herumrumoren. Es war merkwürdig, aber der Kaffeegeruch stimmte mich heiterer. Ich kannte das vom Kriege her – es waren nie die großen Dinge, die einen trösteten -; es waren immer die belanglosen, kleinen.
Ich hatte kaum die Korridortür abgeschlossen, da schoß Hasse aus seinem Zimmer hervor. Sein Gesicht war gelb und gedunsen, die Augen überwach und rot, und er sah aus, als hätte er in seinem Anzug geschlafen. Als er mich erblickte, ging eine maßlose Enttäuschung über seine Züge.
»Ach so, Sie sind es«, murmelte er.
Ich sah ihn erstaunt an.»Haben Sie so früh schon jemand erwartet?«
»Ja«, sagte er leise,»meine Frau. Sie ist noch nicht nach Hause gekommen. Haben Sie sie nicht gesehen?«
Ich schüttelte den Kopf.»Ich war nur eine Stunde fort.«
Er nickte.»Ich dachte nur – es hätte doch sein können, daß Sie sie gesehen hätten.«
Ich zuckte die Achseln.»Wahrscheinlich kommt sie später. Haben Sie nicht telefoniert?«
Er sah mich etwas scheu an.»Sie ist gestern abend zu ihren Bekannten gegangen. Ich weiß nicht, wo sie genau wohnen.«
»Wissen Sie denn den Namen? Dann kann man doch bei der Auskunft anfragen.«
»Das habe ich schon versucht. Die Auskunft kennt den Namen nicht.«
Er hatte einen Blick wie ein verprügelter Hund.»Sie war immer so geheimnisvoll mit den Leuten, und wenn ich einmal fragte, dann wurde sie sofort ärgerlich. Da habe ich's gelassen. Ich war froh, daß sie etwas Anschluß hatte. Sie sagte immer, ich gönnte ihr anscheinend auch den nicht.«
»Vielleicht kommt sie noch«, sagte ich.»Ich bin sogar sicher, daß sie bald kommt. Haben Sie zur Vorsicht mal die Unfallstationen und die Polizei angerufen?«
Er nickte.»Alles. Dort war nichts bekannt.«