Köster legte die Decke wieder über den Kühler Karls. Er strich leicht über die Haube. Dann gingen wir in die Halle und setzten uns an den Kamin.»Wie spät ist es eigentlich?«
fragte ich.
Köster sah nach der Uhr.»Halb sieben.«
»Merkwürdig«, sagte ich.»Dachte, es wäre viel später.«
Pat kam die Treppe herunter. Sie trug ihre Pelzjacke und ging rasch durch die Halle, um Köster zu begrüßen. Ich bemerkte jetzt erst, wie braun sie war. Ihre Haut hatte die Farbe rötlicher Bronze, und sie glich fast einer jungen, sehr hellen Indianerin. Aber ihr Gesicht war schmaler geworden, und die Augen glänzten zu sehr.
»Hast du Fieber?«fragte ich.
»Etwas«, erwiderte sie rasch und ausweichend.»Abends hat hier jeder Fieber. Es ist nur, weil ihr gekommen seid.
Seid ihr müde?«
»Wovon?«
»Dann gehen wir in die Bar, ja? Es ist doch das erstemal, daß ich hier oben Besuch habe.«
»Gibt's denn hier eine Bar?«
»Ja, eine kleine. Oder wenigstens eine Ecke, die so aussieht. Das gehört zur Behandlung. Alles vermeiden, was nach Krankenhaus aussieht. Man bekommt nichts, wenn man nicht darf.«
Die Bar war voll. Pat begrüßte ein paar Leute. Ein Italiener fiel mir auf. Wir setzten uns an einen Tisch, der gerade frei wurde.
»Was willst du denn haben?«fragte ich.
»Einen Cocktail von Rum. So wie wir ihn immer in der Bar getrunken haben. Weißt du das Rezept?«
»Das ist einfach«, sagte ich zu dem Mädchen, das bediente.
»Halb Portwein, halb Jamaika-Rum.«
»Zwei«, rief Pat.»Und einen Spezial.«
Das Mädchen brachte zwei Porto-Roncos und ein hellrotes Getränk.
»Das ist für mich«, sagte Pat. Sie schob uns den Rum zu.»Salute!«
Sie stellte ihr Glas hin, ohne getrunken zu haben, sah sich um, griff dann rasch nach meinem Glas und trank es aus.»Ach«, sagte sie,»wie gut das ist!«
»Was hast du denn da bestellt?«fragte ich und probierte die verdächtig hellrote Sache. Sie schmeckte nach Himbeersaft und Zitrone. Es war kein Tropfen Alkohol drin.»Ganz gut«, sagte ich.
Pat sah mich an.»Gegen den Durst«, fügte ich hinzu.
Sie lachte.»Bestell noch einen Porto-Ronco. Aber für dich. Ich bekomme keinen.«
Ich winkte dem Mädchen.»Einen Porto-Ronco und einen Spezial«, sagte ich. Ich sah, daß an den Tischen ziemlich viel Spezial getrunken wurde.
»Heute darf ich, Robby, ja?«sagte Pat,»nur heute! So wie in den alten Zeiten. Ja, Köster?«
»Der Spezial ist ganz gut«, erwiderte ich und trank das zweite Glas davon aus.
»Ich hasse ihn! Armer Robby, was Schönes mußt du hier trinken!«
»Wenn wir schnell genug bestellen, komme ich schon noch zu meinem Recht«, sagte ich.
Pat lachte.»Nachher zum Essen darf ich etwas trinken. Rotwein.«
Wir bestellten noch ein paar Porto-Roncos, dann gingen wir in den Speisesaal. Pat war wunderschön. Ihr Gesicht leuchtete. Wir setzten uns an einen der kleinen, weißgedeckten Tische neben den Fenstern. Es war warm, und unten lag das Dorf mit seinen beglänzten Straßen im Schnee.
»Wo ist denn Helga Guttmann?«fragte ich.
»Abgereist«, sagte Pat nach einer Pause.
»Abgereist? So früh?«
»Ja«, sagte Pat, und ich begriff, was sie meinte.
Das Mädchen brachte den dunkelroten Wein. Köster schenkte die Gläser voll. Die Tische waren jetzt alle besetzt. Überall saßen Menschen und plauderten. Ich fühlte Pats Hand auf meiner.»Liebling«, sagte sie sehr leise und zärtlich.»Ich konnte es nicht mehr aushalten.«
XXVI
Ich kam aus dem Zimmer des Chefarztes, Köster wartete auf mich in der Halle. Er stand auf, als er mich sah. Wir gingen nach draußen und setzten uns auf eine Bank vor dem Sanatorium.»Es ist schlimm, Otto«, sagte ich.»Schlimmer, als ich gefürchtet habe.«
Eine Gruppe Schiläufer zog lärmend dicht an uns vorüber. Ein paar mit Öl eingeschmierte Frauen mit kräftigen, sonnverbrannten Gesichtern und breiten, weißen Gebissen waren dabei. Sie schrien sich zu, daß sie Hunger wie die Wölfe hätten. Wir warteten, bis sie vorbei waren.»So was lebt natürlich«, sagte ich.»Lebt und ist gesund bis in die Knochen. Zum Kotzen!«
»Hast du mit dem Chefarzt selbst gesprochen?«fragte Köster.
»Ja. Er hat mir alles sehr verklausuliert erklärt, mit vielen Einschränkungen. Aber das Ergebnis ist, daß es schlechter geworden ist. Er behauptet zwar, es sei besser geworden.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Er behauptet, wenn sie unten geblieben wäre, würde längst alle Hoffnung verloren sein. Hier ist es langsamer gegangen. Das nennt er dann besser werden.«
Köster zog mit den Absätzen seiner Schuhe Striche in den harten Schnee. Dann hob er den Kopf.»Er hat also Hoffnung?«
»Ein Arzt hat immer Hoffnung, das gehört zu seinem Beruf. Aber ich habe verdammt wenig mehr. Ich fragte ihn, ob er einen Pneumothorax gemacht hätte. Er sagte, das ginge nicht mehr. Sie hätte vor Jahren schon einen gehabt. Jetzt seien beide Lungen krank. Es ist verflucht, Otto.«