Nachmittags ging ich unter einem Vorwand nach Hause. Ich war um fünf Uhr mit Patrice Hollmann verabredet, aber ich sagte in der Werkstatt nichts davon. Nicht, dass ich es verbergen wollte; aber es kam mir auf einmal ziemlich unwahrscheinlich vor.
Sie hatte mir ein Cafe als Treffpunkt angegeben. Ich kannte es nicht; ich wusste nur, dass es ein kleines, elegantes Lokal war. Ahnungslos ging ich hin. Aber ich prallte erschreckt zurück, als ich eintrat. Der Raum war überfüllt mit schwätzenden Frauen. Ich war in eine typische Damenkonditorei geraten.
Mit Mühe gelang es mir, einen Tisch, der gerade frei wurde, zu ergattern. Unbehaglich blickte ich umher. Außer mir waren nur noch zwei Männer da und die gefielen mir nicht.
„Kaffee, Tee, Schokolade?” fragte der Kellner und wedelte mit seiner Serviette eine Anzahl Kuchenkrümel von der Tischplatte auf meinen Anzug.
„Einen großen Kognak”, erwiderte ich.
Er brachte ihn. Aber er brachte gleichzeitig ein Kaffeekränzchen[41]
mit, das Platz suchte, an der Spitze eine Athletin reiferen Alters mit einem Pleureusenhut[42]. „Vier Plätze, bitte!” sagte er und zeigte auf meinen Tisch.„Halt”, antwortete ich, „der Tisch ist nicht frei. Ich erwarte jemand.”
„Das geht nicht, mein Herr!” sagte der Kellner. „Um diese Zeit können keine Plätze reserviert werden.”
„Können Sie mir wenigstens noch einen Kognak bringen?” knurrte ich den Kellner an.
„Sehr wohl, mein Herr. Wieder einen großen?”
„Ja.”
„Bitte sehr.” Er verbeugte sich. „Es ist doch ein Tisch für sechs Personen, mein Herr”, sagte er entschuldigend.
„Schon recht. Bringen Sie nur den Kognak.”
„Salute![43]
” sagte jemand hinter mir.Ich fuhr auf. Da stand sie und lachte. „Sie fangen ja rechtzeitig an!”
Ich stellte das Glas, das ich immer noch in der Hand hielt, auf den Tisch. Ich war plötzlich verwirrt. Das Mädchen sah ganz anders aus, als ich es in Erinnerung hatte. Zwischen den vielen, Kuchen essenden, wohlgenährten Weibern wirkte es wie eine schmale, junge Amazone, kühl, strahlend, sicher und unangreifbar. Das wird nie etwas mit uns, dachte ich und sagte: „Wo sind Sie denn nur so geisterhaft hergekommen? Ich habe doch die ganze Zeit die Tür beobachtet.”
Sie zeigte nach rechts hinüber. „Dort drüben ist noch ein Eingang. Aber ich habe mich verspätet. Warten Sie schon lange?”
„Gar nicht. Höchstens zwei, drei Minuten. Ich bin auch erst eben gekommen.”
Das Kaffeekränzchen an meinem Tisch wurde still. Ich spürte die abschätzenden Blicke von vier soliden Müttern im Nacken. „Wollen wir hier bleiben?” fragte ich.
Das Mädchen streifte mit einem raschen Blick den Tisch. Ihr Mund zuckte. Sie sah mich belustigt an. „Ich fürchte, Cafes sind überall gleich.”
Ich schüttelte den Kopf. „Wenn sie leer sind, sind sie besser. Dies hier ist ein Teufelslokal, in dem man Minderwertigkeitskomplexe bekommt. Wir könnten am besten in eine Bar gehen.”
„In eine Bar? Gibt es denn Bars, die am hellen Tage offen sind?”
„Ich weiß eine”, sagte ich. „Sie ist allerdings sehr ruhig. Wenn Sie das mögen – ”
„Manchmal schon – ”
Ich blickte auf. Ich konnte im Augenblick nicht feststellen, wie sie das meinte. Ich hatte nichts gegen Ironie, wenn sie nicht gegen mich ging; aber ich hatte ein schlechtes Gewissen.
„Also gehen wir”, sagte sie.
Ich winkte dem Kellner. „Drei große Kognaks”, brüllte der Unglücksvogel[44]
mit einer Stimme, als wollte er einem Gast im Grabe die Rechnung machen. „Drei Mark dreißig!”Das Mädchen drehte sich um. „Drei Kognaks in drei Minuten? Ganz schönes Tempo!”
„Es sind noch zwei von gestern dabei.”
„So ein Lügner”, zischte die Athletin am Tisch hinter mir her. Sie hatte lange geschwiegen.
Ich wandte mich um und verbeugte mich. „Ein gesegnetes Weihnachtsfest, meine Damen!” Dann ging ich rasch.
„Haben Sie Streit gehabt?” fragte mich das Mädchen draußen.
„Nichts besonderes. Ich habe nur eine ungünstige Wirkung auf Hausfrauen in gesicherten Verhältnissen.”
„Ich auch”, erwiderte sie.
Ich sah sie an. Sie erschien mir wie aus einer andern Welt.
Ich konnte mir absolut nicht vorstellen, was sie war und wie sie lebte.
Die Bar war sicherer Boden für mich. Fred, der Mixer[45]
, stand hinter der Theke und polierte gerade die großen Schwenkgläser für Kognak, als wir hereinkamen. Er begrüßte mich, als sähe er mich zum ersten Male und hätte mich nicht vor zwei Tagen noch nach Hause bringen müssen. Er hatte eine gute Schule und eine riesige Erfahrung hinter sich.Der Raum war leer bis auf einen Tisch. Dort saß, wie fast immer, Valentin Hauser. Ich kannte ihn vom Kriege her; wir waren in derselben Kompagnie gewesen. Er hatte mir einmal durchs Sperrfeuer[46]
einen Brief nach vorne gebracht, weil er dachte, er wäre von meiner Mutter. Er wusste, dass ich darauf wartete, denn meine Mutter war operiert worden. Aber er hatte sich geirrt; – es war nur eine Reklame für Kopfschützer aus Brennnesselstoff gewesen. Auf dem Rückwege bekam er einen Schuss ins Bein.