Ich wandte mich mit der Ananas und den Blumen an Lilly. „Meine herzlichsten Glückwünsche!”
„Er ist und bleibt ein Kavalier!” sagte Rosa. „Und nun komm, Robby, setz dich zwischen uns beide.”
Lilly war die beste Freundin Rosas.
Lilly sollte Montag heiraten. Heute gab Rosa ihr einen Abschiedskaffee. Alle waren dazu erschienen, um noch einmal mit Lilly zusammen zu sein. Nach ihrer Hochzeit konnte sie nicht mehr hierher kommen.
„Alles schon vorbereitet, Lilly?” fragte ich.
Sie nickte. „Die Aussteuer hatte ich ja schon lange.”
„Wunderbare Aussteuer”, sagte Rosa. „Fehlt aber auch nicht ein Spitzendeckchen.”
„Wozu braucht man denn Spitzendeckchen?” fragte ich.
„Na hör mal, Robby!” Rosa sah mich so vorwurfsvoll an, dass ich rasch erklärte, ich wüsste es schon. Spitzendecken, – gehäkelte Möbelschoner, natürlich, sie waren das Symbol kleinbürgerlicher Behaglichkeit, – das geheiligte Symbol der Ehe, des verlorenen Paradieses. Sie waren ja alle keine Huren aus Temperament; sie waren Gescheiterte der bürgerlichen Existenz. Ihre geheime Sehnsucht war das Ehebett; nicht das Laster. Aber das hätten sie nie eingestanden.
Ich setzte mich ans Klavier. Rosa hatte schon darauf gewartet. Sie liebte Musik, wie alle diese Mädchen. Ich spielte zum Abschied noch einmal alle ihre und Lillys Lieblingsschlager. Zu Anfang das „Gebet einer Jungfrau”. Der Titel war zwar nicht ganz angebracht für das Lokal, aber es war auch nur ein Bravourstück mit viel Geklimper. Dann folgte „Der Vöglein Abendlied”, das „Alpenglühen”, „Wenn die Liebe stirbt”, „Die Millionen des Harlekin”, und zum Schluß „Nach der Heimat möcht ich wieder”. Das liebte Rosa besonders. Huren sind ja das Härteste und Sentimentalste zugleich. Alle sangen es mit.
Lilly brach auf. Sie musste ihren Bräutigam abholen. Rosa küsste sie herzhaft ab. „Mach’s gut, Lilly. Lass dich nicht unterkriegen!”
Beladen mit Geschenken ging sie davon. Weiß der Henker, sie hatte ein ganz anderes Gesicht als früher. Die harten Linien, die sich bei jedem eingraben, der mit der menschlichen Gemeinheit zu tun hat, waren weggewischt; das Gesicht war weicher geworden, es hatte wahrhaftig wieder etwas von einem jungen Mädchen.
Wir standen vor der Tür und winkten Lilly nach. Mimi fing plötzlich an zu heulen. Sie war selbst mal verheiratet gewesen. Ihr Mann war im Kriege an Lungenentzündung gestorben. Wäre er gefallen, hätte sie eine kleine Rente gehabt und nicht auf die Straße müssen. Rosa klopfte ihr auf den Rücken. „Na, Mimi, nur nicht weich werden! Komm, wir trinken noch einen Schluck Kaffee.”
Die ganze Gesellschaft kehrte in das dunkle International zurück, wie eine Schar Hühner in den Stall. Aber es kam keine rechte Stimmung mehr auf.
Dann verabschiedete ich mich auch. Rosa steckte mir noch ein Paket Kuchen zu. Ich schenkte es Muttchens Sohn, der draußen bereits den abendlichen Wurstkessel aufbaute.
Ich überlegte, was ich machen sollte. In die Bar wollte ich auf keinen Fall; in ein Kino auch nicht; in die Werkstatt? Unschlüssig sah ich nach der Uhr. Es war acht. Jetzt musste Köster wieder zurück sein. Wenn er da war, konnte Lenz nicht wieder stundenlang über das Mädchen reden. Ich ging hin.
In der Bude war Licht. Nicht nur in der Bude; – auch der ganze Hof war überflutet. Köster war allein da. „Was ist denn hier los, Otto?” fragte ich. „Hast du vielleicht den Cadillac verkauft?”
Köster lachte. „Nein. Gottfried hat nur ein bisschen illuminiert.”
Beide Scheinwerfer des Cadillacs brannten. Der Wagen war so geschoben, dass die Lichtgarben durch das Fenster in den Hof fielen, mitten auf den weißblühenden Pflaumenbaum. Es sah wunderbar aus, wie er so kreidig dastand. Die Dunkelheit zu beiden Seiten schien wie ein schwarzes Meer zu rauschen.
„Großartig”, sagte ich. „Wo ist er denn?”
„Er holt was zu essen.”
„Glänzende Idee”, sagte ich. „Fühle mich so ein bisschen windig. Kann aber sein, dass es bloß Hunger ist.”
Köster nickte. „Essen ist immer gut. Hauptgesetz aller alten Krieger. Ich habe heute nachmittag auch was Windiges gemacht. Habe Karl zum Rennen gemeldet.”
„Was?” sagte ich. „Etwa zum sechsten?”
Er nickte.
„Verdammt nochmal, Otto, da starten doch allerlei Kanonen.”[50]
Er nickte wieder. „In der Sportwagenklasse Braumüller.”
Ich krempelte mir die Ärmel auf. „Dann ran, Otto!
Große Ölwäsche für unsern Liebling.”
„Halt!” rief der letzte Romantiker, der gerade hereinkam, „erst futtern!” Er packte das Abendbrot aus, – Käse, Brot, steinharte Räucherwurst und Sprotten. Dazu tranken wir gut gekühltes Bier. Wir aßen wie eine Kolonne ausgehungerter Drescher. Dann gingen wir Karl zuleibe. Zwei Stunden arbeiteten wir an ihm herum und kontrollierten und schmierten alle Lager. Hinterher aßen Lenz und ich zum zweitenmal Abendbrot. Gottfried beleuchtete jetzt auch den Ford. Durch Zufall war bei dem Zusammenstoß einer der Scheinwerfer heil geblieben. Der starrte nun von dem hochgebogenen Chassis[51]
schräg hinauf in den Himmel.