1942 wurde Bella zusammen mit Mutter und Schwester nach Ischewsk versetzt. Dorthin wurde die Moskauer Staatliche Technische Universität, wohin noch in Moskau Bellas Papiere für die Immatrikulation von Rimma abgegeben wurden. Dort, in Ischewsk, fang sie an, gleichzeitig zu studieren und als Laborantin zu arbeiteten. Alle drei Frauen fanden Arbeit in einem Wohnheim für ehemalige Verbrecher, wo sie auch wohnen durften: Die Mutter bekam die Stelle als Hausverwalterin (alle für die Mutter obliegenden physischen Arbeiten verrichteten die beiden Töchter für sie heimlich nachts), die Schwester konnte als Erzieherin dort arbeiten und Bella als Bibliothekarin. Sie wohnten zu dritt in einem kleinen Zimmer und bedankten sich jeden Tag bei Gott dafür, dass keine von ihnen drei getötet wurde. Morgens ging Bella an die Universität.
Марк и Белла Полян с сыном (1957)/ Mark und Bella Polian mit dem Sohn (1957)
Марк и Белла Полян с сыном и невесткой Соней (сер. 2000-х)/Mark und Bella Polian mit dem Sohn und Schwägerin Sonja (Mitte 2000er)
Am 17. Juni 1943 kehrte Bella mit der Universität nach Moskau zurück. Die Mutter und Rimma folgten etwas später ihr nach. Hier begann ein neues Ungemach – mit der festen Anmeldung in der Stadt. Bella wurde in Moskau als Studentin angemeldet, Rimma wurde von einer Verwandten bei sich angemeldet, zwar kostenpflichtig, aber dafür durfte Rimma in Moskau bleiben. Nur die Anmeldung von Mutter gelang trotz aller Anstrengungen nicht und ohne Anmeldung durfte sie nicht bleiben und darüber hinaus gab es für Mutter keine Brotkarte. So lebten alle drei vorübergehend nur von einer Brotkarte – Bella's Studentenkarte!
Der Chef der Passabteilung sagte zu den Fall: «Möge sie doch dorthin zurückkehren, wo sie vor dem Krieg wohnte, bitte schön!» Wohin denn? Etwa dorthin, wo das Haus abbrannte und der Ehemann ermordet wurde?
Bella wandte sich an die Redaktion der Zeitung «Roter Stern», an Ilja Ehrenburg. Der verschaffte ihr die Telefonnummer einer Person, die ihr unbedingt helfen würde. Bella machte davon aber kein Gebrauch, denn sie entschied sich für eine andere Lösung. Bella zeichnete neu und schön, in Zeichenschrift, alle Agitationstexte, die in der gesamten Passabteilung benötigt wurden, wofür der Chef der Passabteilung Elisaweta Markowna anmelden ließ. Die Mutter wurde sofort bei Bella im Studentenheim untergebracht.
Das Studentenleben und Studium beanspruchten ihre ganze Zeit und Kraft, doch Bella wollte von Theaterbesuchen nicht verzichten. Oft saß sie einfach auf den Treppen oder stand im Zwischengang: Der Eintritt kostete damals nur ein Rubel. Es gab auch genug junge Gefährten, die gerne das hübsche Mädchen einladen wollten. Darunter war auch Mark Polian, mein Vater.
Могила на Еврейском кладбище во Фрайбурге / Grab auf dem Jüdischen Friedhof in Friedhof
Es gab folgendes Schema bei diesen Einladungen: Man rief Rimma an ihrem Arbeitsplatz an und lud die jüngere Schwester ein, aber nicht früher als auf den nächsten Tag! Manchmal gab es sogar zwei Optionen zur Wahl.
Einmal war sie mit Mark in Bolschoy Theater, wo der «Fürst Igor» aufgeführt wurde. Da verkündete der Theaterdirektor, dass es eine 45-minütige Pause geben wird, da es zum Ehren des Sieges salutiert wird und alle während diese Pause nach draußen dürften. Der Krieg war vorbei!
Nachdem mein Vater meiner Mutter einen Heiratsantrag machte, hat sie «ja» gesagt und zog in das Bachruschinski Haus in Faleewskij Gasse um, wo ihr wie uns allen noch dutzend Jahre in einer klassischen, nach Ilf und Petrow, übervollen Kommunalka bevorstanden, bevor wir in eine neue vom Vater erhaltenen Wohnung auf dem Leninskij Prospekt umgezogen sind (genauer gesagt in zwei Zimmer der Dreizimmerwohnung).
Inzwischen verlief auch Mutters berufliches Leben in mehreren Abschnitten. Von der Moskauer Technischen Universität wechselte sie an die Moskauer Universität für Straßenbau, nach deren Absolvierung sie als Volkswirtin im Fuhrpark des Ministeriums für Seestreitkräfte, anschließend als Prüfer in der Kontrol– und Überprüfungsabteilung des Moskauer Straßenverkehrsamtes arbeitete. In 1969–1978 wurde sie Oberingenieurin in der Zentrale für Internationale Verkehrsverbindungen «Sovtransavto». Schon als Rentnerin arbeitete sie noch lange als Kundenberaterin bei einer Moskauer Transportagentur.
In Deutschland
Mark und Bella Polian, die gegen Mitte der 1990er in den Ruhestand gingen, beschlossen sich den Freiburger Polians anzuschließen. Am 2. November 1998 überquerten sie die deutsche Grenze. Freiburg und die Freiburger Gemeinde hatten sie schon erwartet.