Harry nahm Jeris Einladung im vollen Wissen um die Folgen an. Drei Personen – das würden die Stoßdämpfer mit Sicherheit nicht überstehen. »In den Büschen da oben? Ich fahr die Maschine besser rauf. Wär jammerschade, wenn ich plötzlich ohne sie dastünde.«
Harry ließ das Motorrad ausrollen. Ohne den Fahrtwind war die Luft glühend heiß. Er goß etwas Wasser auf sein Stirnband und wischte sich das Gesicht ab.
»Wir sind fast da«, sagte Jeri. »Warum hältst du an?«
»Es geht nicht mehr«, erklärte Harry. »Alles absteigen.«
Melissa sprang von ihrem luftigen Sitz auf dem Tank, und Jeri kletterte vom Sozius. Langsam stieg Harry ab und wuchtete die Maschine auf den Ständer. Jeder Muskel tat ihm weh. Dann versuchte er sich zu bücken.
»Zeit zum Rückeneinreiben?« fragte Jeri.
»Schaden kann’s nicht«, sagte Harry. Er wies auf einen Wasserlauf neben der Straße. »Melissa, wie wär’s, wenn du die Feldflaschen fülltest?«
»Das Wasser sieht nicht besonders sauber aus.«
»Es wird’s wohl tun«, sagte Harry.
»Gieß alles Wasser, das noch da ist, in eine Flasche, und füll die andere unten am Bach!« sagte Jeri. »Harry, du stehst da wie ein Fragezeichen. Bück dich mal über das Motorrad, dann kümmere ich mich um deinen Rücken.«
Harry wartete, bis Melissa fort war. »Ich weiß nicht recht, wie ich das sagen soll. Ich tu es nicht gern, aber einer muß ja. Wir sind fast da, noch fünfzehn, zwanzig Kilometer.«
»Ja. Vielen Dank. Ich weiß, daß es nicht an deiner Strecke liegt, und es ist wohl nicht sehr bequem, zu dritt auf einem Motorrad.«
»Schon richtig, aber darum geht es mir nicht«, sagte Harry. »Bist du nicht am Tag, bevor die Außerirdischen gekommen sind, über den Colorado River gefahren?«
»Doch.«
»Und seitdem hast du nichts gesehen als ein paar Städte und den Bombentrichter dahinten.«
»Harry, worauf willst du hinaus?«
»Ich hab mir die Karte angesehen. Unmittelbar oberhalb der Stadt, wo du hinwillst, liegt ein Staudamm.« Danach schwieg er, um Jeri Gelegenheit zu geben, die Bedeutung seiner Worte zu erfassen. »Jeri, ich hätte es fast nicht über den Colorado geschafft. In den Städten Needles und Bullhead City ist kein Stein mehr auf dem anderen. Den ganzen Fluß entlang ist
»Oh.«
»Ja, so sieht das aus. Keine Ahnung, was uns da vorne erwartet. Weißt du, in welchem Teil der Stadt dein Dave da gewohnt hat?«
»Nein«, sagte Jeri. »Harry – es muß einfach alles gut werden.«
»Na klar«, sagte Harry mit einer Stimme, der anzuhören war, daß er sich nicht einmal bemühte, sie aufrichtig klingen zu lassen.
Jeri saß eingekeilt zwischen Harry und dem Gepäck. Sie mußte unaufhörlich weinen. Der Wind trieb ihre Tränen an den Schläfen entlang.
Die Maschine arbeitete sich über eine Kuppe.
Unter ihnen lag ein riesiger Schlammsee. Durch die Mitte der Fläche von fünfzehn Kilometern Länge und zwei Kilometern Breite, die zuvor der Stausee bedeckt hatte, lief nur noch ein schmales Rinnsal, ein Bächlein mit unmäßig breiten Ufern. Beißender Gestank lag über dem Schlamm. Sie fuhren langsam, spürten den heißen Wind auf ihren Gesichtern, rochen modrigen Schlamm vom Grund des Stausees.
Melissa brauchten sie nichts zu sagen. Sie konnte den toten See selbst sehen und mußte imstande sein, sich auszumalen, was vor ihnen lag.
An den Schlammbänken entlang fuhren sie auf die Ruinen der Staumauer zu. Lange bevor sie sie erreichten, überlagerte etwas den Geruch nach verfaultem Schlamm und heißem Sommer. Überall lag der Gestank des Todes in der Luft.
Die Stadt unterhalb der Staumauer war verschwunden. Es sah aus, als habe ein Bulldozer alle Gebäude niedergewalzt und ein zweiter Schlamm über die Fundamente gebreitet. In gewisser Entfernung vom Bett des Stroms der Verwüstung lag ein schmaler Rand nur zum Teil zerstörter Gebäude, sah man Schuttreste. Ein Haus war fast genau in der Mitte entzwei gerissen worden, so daß Räume mit drei Wänden auf den Ort der Zerstörung hinabstarrten.
Oberhalb der Schuttlinie war alles intakt. Menschen stöberten in den Trümmern des Randbezirks umher, aber nur wenige wagten sich in den Schlamm hinab.