»Die Rolle soll ich singen! Da hören Sie die Arie! Das ist ein Gemüse! Wird in der königlichen Hofoper aufgeführt, mit Büttner und der Duelli[40]
! Aber das interessiert Sie nicht, und mich eigentlich auch nicht. Wie geht’s denn? Haben Sie ausgeruht? Sie haben kaputt ausgesehen, als Sie gestern gingen. Und bös waren Sie mir auch. Nun ja. Wir wollen die Dummheiten nicht gleich wieder anfangen.«Und gleich darauf, ohne dass ich etwas dazwischen sagen konnte: »Wissen Sie, der Kranzl ist ein Langeweiler. Er will ihre Sonate nicht spielen.«
»Er hat sie doch gestern gespielt!«
»Im Konzert, meine ich. Ich wollte sie ihm aufhängen, aber er mag nicht. Es wäre gut gewesen, wenn sie nächsten Winter in so eine Matinee[41]
gekommen wäre. Der Kranzl ist nicht so dumm, wissen Sie, aber faul. Er spielt immerzu diese polakischen Musiken von insky und owsky[42], was Neues lernt er nicht gern.«»Ich glaube nicht«, fing ich nun an, »dass die Sonate in ein Konzert passt, das habe ich mir auch nie eingebildet. Sie ist technisch noch gar nicht sauber.«
»Das ist doch Wurst![43]
Ihr mit eurem Künstlergewissen! Wir sind doch keine Schulmeister, und es werden ohne Zweifel schlechtere Sachen gespielt, gerade von Kranzl. Aber ich weiß was anderes. Das Lied müssen Sie mir geben, und machen Sie doch bald noch mehr! Ich gehe im Frühjahr hier weg, ich habe gekündigt, und mache lange Ferien. In der Zeit möchte ich ein paar Konzerte geben, aber was Neues, nicht mit Schubert und Wolf und Löwe und dem, was man alle Abend hört, sondern neue und unbekannte Sachen, ein paar wenigstens, solche wie das Lawinenlied. Was meinen Sie?«Für mich war die Aussicht, meine Lieder von Muoth öffentlich gesungen zu sehen, ein Tor in die Zukunft, durch dessen Spalt ich lauter Herrlichkeiten sah. Eben deswegen wollte ich vorsichtig sein und weder Muoths Freundlichkeit missbrauchen, noch mich ihm allzusehr verpflichten. Es schien mir, er wolle mich gar zu gewaltsam an sich ziehen, blenden und vielleicht irgendwie vergewaltigen. Darum ging ich kaum darauf ein.
»Ich will sehen«, sagte ich. »Sie sind sehr gütig mit mir, das sehe ich, aber ich kann nichts versprechen. Ich bin am Ende meiner Studien und muss jetzt an gute Zeugnisse denken. Ob ich einmal als Komponist auftreten kann, ist ungewiss, einstweilen bin ich Geiger und muss sehen, wie ich beizeiten zu einer Stellung komme.«
»Ach ja, das alles können Sie ja tun. Darum kann Ihnen doch wieder ein neues Lied einfallen, das Sie mir dann geben, nicht?«
»Ja, das wohl. Ich weiß freilich nicht, warum Sie sich meiner so annehmen.«
»Haben Sie Angst vor mir? Mir gefällt einfach Ihre Musik, ich möchte Sachen von Ihnen singen und verspreche mir davon etwas; es ist reiner Eigennutz.«
»Wohl, aber warum reden Sie so mit mir, so wie gestern, meine ich?«
»Ach, Sie sind noch beleidigt? Was habe ich denn eigentlich gesagt? Ich weiß es rein nimmer. Jedenfalls wollte ich Sie nicht schlecht behandeln, wie ich es scheint’s getan habe. Sie können sich ja wehren! Es redet und ist jeder, wie er ist und sein muss, und man muss einander gelten lassen.«
»Das meine ich auch, aber Sie tun das Gegenteil, Sie reizen mich und lassen nichts gelten, was ich sagen. Sie ziehen das, woran ich selber ungern denke und was mein Geheimnis ist, hervor und werfen es mir hin wie einen Vorwurf. Sie spotten sogar über mein steifes Bein!«
Heinrich Muoth sagte langsam: »Ja, ja, ja. Die Leute sind eben verschieden. Den einen macht es wild, wenn man Wahrheiten sagt, und der andere kann keine Phrase vertragen. Sie hat es geärgert, dass ich Sie nicht wie einen Intendanten behandle, und mich hat es geärgert, dass Sie sich vor mir verstecken und mir die Sprüche über den Trost der Kunst anhängen wollten.«
»Das war gemein, wie ich es sagte; ich bin nur nicht gewohnt, über die Sachen zu reden. Und über das andere will ich eben nicht reden. Wie es in mir aussieht, und ob ich traurig bin oder verzweifelt, und wie mein Bein mir vorkommt und meine Krüppelschafft, das will ich für mich behalten und mir von niemand herausdrohen und herausspotten lassen.«
Er stand auf.
»Ich habe ja noch gar nichts an, ich will das schnell besorgen. Sie sind ein anständiger Mensch, das bin ich leider nicht. Wir wollen darüber nimmer so viel reden. Haben Sie denn gar nichts davon gemerkt, dass ich Sie gern habe? Warten Sie ein wenig, setzen Sie sich ans Klavier, bis ich angezogen bin. Singen Sie nicht? – Nicht? Nun, es dauert nur sechs Minuten.«
Wirklich kam er sehr bald angekleidet aus dem Nebenzimmer zurück.
»Jetzt gehen wir in die Stadt und essen miteinander«, sagte er behaglich. Er fragte nicht, ob es mir auch passe; er sagte: »Wir gehen«, und wir gingen. Denn so empfindlich seine Art mich ärgerte, sie imponierte mir doch, er war der Stärkere. Daneben zeigte er im Gespräch und Benehmen eine launenhafte Kindlichkeit, die oft entzückend war und ganz mit ihm versöhnte.