Читаем Gertrud / Гертруда. Книга для чтения на немецком языке полностью

Nun, das sind Erinnerungen, die man nicht erzählen kann wie die meisten. Was ein Mensch für sich ist und erlebt, wie er wird und wächst und krankt und stirbt, das alles ist unerzählbar. Das Leben arbeitender Menschen ist langweilig, interessant sind die Lebensführungen und Schicksale der Taugenichtse. So reich mir jene Zeit im Gedächtnis liegt, ich kann nichts über sie sagen, denn ich stand außerhalb des menschlichen und geselligen Lebens. Nur einmal kam ich für Augenblicke wieder einem Menschen nahe, den ich nicht vergessen darf. Das war der Präzeptor Lohe.

Ich ging einmal, schon im Spätherbst, spazieren. Es war im Süden der Stadt ein bescheidenes Villenviertel entstanden, wo keine reichen Leute wohnten, sondern kleine Sparer und Rentenverzehrer kleine wohlfeile Häuslein mit einfachen Gärten bewohnten. Ein geschickter junger Baumeister hatte hier viel Hübsches gebaut, was ich mir nun auch einmal ansehen wollte.

Es war ein warmer Nachmittag, da und dort wurden späte Nussbäume geleert, die Gärten und kleinen neuen Häuser lagen fröhlich in der Sonne. Die hübschen einfachen Bauten gefielen mir, ich beschaute sie mit dem oberflächlich behaglichen Interesse, das junge Leute für so etwas haben, welchen der Gedanke an Haus und Heim und Familie, Rast und Feierabend noch im Weiten liegt. Die friedliche Gartenstraße machte einen lieben, behaglichen Eindruck, ich spazierte langsam dahin, und im Gehen verfiel ich darauf, die Namen der Hausbesitzer auf den kleinen, blanken Messingschildchen an den Gartentoren zu lesen.

Auf einem dieser Schildchen stand »Konrad Lohe«, und im Lesen wollte der Name mir bekannt vorkommen. Ich blieb stehen und besann mich, und es fiel mir ein, dass einer meiner Lehrer in der Lateinschule so geheißen hatte. Und für Sekunden stieg die alte Zeit herauf, sah mich verwundert an und wälzte auf flüchtiger Welle einen Schwarm von Gesichtern herauf, von Lehrern und Kameraden, Spitznamen und Geschichten. Und während ich stand und auf das Messingtäfelchen sah und lächelte, erhob sich hinterm nächsten Johannisbeerstrauch, wo er gebückt gearbeitet hatte, ein Mann, trat dicht heran und sah mir ins Gesicht.

»Wollen Sie zu mir?« fragte er, und es war Lohe, der Präzeptor Lohe, den wir Lohengrin geheißen hatten.

»Eigentlich nicht«, sagte ich und zog den Hut. »Ich wusste nicht, dass Sie hier wohnen. Ich bin einmal Ihr Schüler gewesen.«

Er blickte schärfer, sah an mir hinab bis zum Stock, besann sich und nannte meinen Namen. Er hatte mich nicht am Gesicht erkannt, sondern am steifen Bein, da er natürlich von meinem Unfall wusste. Nun ließ er mich eintreten.

Er war in Hemdärmeln[45] und hatte eine grüne Gartenschürze vorgebunden, er schien gar nicht älter geworden und sah prächtig blühend aus. Wir schritten in dem kleinen sauberen Garten hin und her, dann führte er mich an eine offene Veranda, wo wir uns setzten.

»Ja, ich hätte Sie nimmer gekannt«, sagte er aufrichtig. »Hoffentlich haben Sie mich in guter Erinnerung von früher her.«

»Nicht ganz«, sagte ich lächelnd. »Sie haben mich einmal für etwas bestraft, was ich nicht getan hatte, und haben meine Beteuerungen für Lügen erklärt. Es war in der vierten Klasse.«

Bekümmert schaute er auf. »Das dürfen Sie mir nimmer übelnehmen, es tut mir auch leid. Lehrern passiert es beim besten Willen immer wieder, dass etwas nicht stimmt, und eine Ungerechtigkeit ist bald angerichtet. Ich weiß schlimmere Fälle. Zum Teil deswegen bin ich denn auch gegangen.«

»So, Sie sind nimmer im Amt?«

»Schon lange nicht mehr. Ich wurde krank, und als ich wieder geheilt war, hatten sich meine Ansichten so sehr geändert, dass ich den Abschied nahm. Ich hatte mir Mühe gegeben, ein guter Lehrer zu sein, aber ich war keiner, dazu muss man geboren sein. So gab ich es auf, und seither ist mir wohl.«

Das konnte man ihm ansehen. Ich fragte weiter, doch wollte er nun meine Geschichte hören, die bald erzählt war. Dass ich Musiker geworden sei, gefiel ihm nicht ganz, dagegen hatte er für mein Pech ein freundliches und zartes Mitleid, das mir nicht wehtat. Vorsichtig suchte er zu erforschen, wie es mir gelinge, mich zu trösten, und war von meinen halb ausweichenden Antworten nicht befriedigt. Unter geheimnisvollen Gebärden gab er zögernd und doch ungeduldig mit schüchternen Umschweifen kund, er wisse einen Trost, eine vollkommene Weisheit, die jedem ernstlich Suchenden offenstehe.

»Ich weiß schon«, sagte ich, »Sie meinen die Bibel.«

Herr Lohe lächelte schlau. »Die Bibel ist gut, sie ist ein Weg zum Wissen. Aber sie ist nicht das Wissen selbst.«

»Und wo ist das Wissen selbst?«

»Das werden Sie leicht finden, wenn Sie wollen. Ich gebe Ihnen etwas zum Lesen mit, das gibt Ihnen die Elemente. Haben Sie schon von der Lehre vom Karma[46] gehört?«

»Vom Karma? Nein, was ist das?«

Перейти на страницу:

Все книги серии Чтение в оригинале (Каро)

Похожие книги

Дублинцы
Дублинцы

Джеймс Джойс – великий ирландский писатель, классик и одновременно разрушитель классики с ее канонами, человек, которому более, чем кому-либо, обязаны своим рождением новые литературные школы и направления XX века. В историю мировой литературы он вошел как автор романа «Улисс», ставшего одной из величайших книг за всю историю литературы. В настоящем томе представлена вся проза писателя, предшествующая этому великому роману, в лучших на сегодняшний день переводах: сборник рассказов «Дублинцы», роман «Портрет художника в юности», а также так называемая «виртуальная» проза Джойса, ранние пробы пера будущего гения, не опубликованные при жизни произведения, таящие в себе семена грядущих шедевров. Книга станет прекрасным подарком для всех ценителей творчества Джеймса Джойса.

Джеймс Джойс

Классическая проза ХX века