Nun schrieb ich Muoth, dankte ihm und bat um Bericht. Vor allem hätte ich gern gewusst, wie mein Lied in den Konzerten aufgenommen worden war. Von Muoths Konzertreise hatte ich wohl gehört und ein oder zweimal Zeitungsnotizen gelesen, von meinem Lied war aber da nicht die Rede gewesen. Ich berichtete in meinem Brief mit der Ausführlichkeit der Einsamen von meinem Leben und von meiner Arbeit, legte auch eines der neuen Lieder bei. Dann wartete ich zwei, drei, vier Wochen auf Antwort, und dann, da sie ausblieb, vergaß ich die ganze Sache wieder. Immer noch schrieb ich fast alle Tage an meine Mutter, die mir wie im Traume quoll. In den Pausen aber war ich schlaff und unzufrieden, das Stundengeben fiel mir furchtbar schwer, ich fühlte, dass ich es nimmer lang aushalten werde.
Es war daher wie eine Erlösung aus einem Bann, als endlich doch ein Brief von Muoth kam. Er schrieb:
»Lieber Herr Kuhn! Ich bin kein Briefschreiber, darum ließ ich Ihren Brief liegen, auf den ich nichts Rechtes zu antworten wusste. Jetzt aber kann ich mit wirklichen Vorschlägen kommen. Ich bin jetzt am Opernhaus hier in R. angestellt. Und es wäre schön, wenn Sie auch kämen. Sie könnten fürs erste als zweiter Geiger bei uns unterkommen, der Kapellmeister ist ein vernünftiger und freier Mann, wenn auch ein Grobian. Wahrscheinlich findet sich auch Gelegenheit, bald etwas von Ihnen hier zu spielen, wir haben gute Kammermusiker. Wegen der Lieder wäre auch einiges zu sagen, unter anderem ist ein Verleger da, der sie haben will. Aber das Schreiben ist so langweilig, kommen Sie selber! Aber schnell, und telegraphieren Sie wegen der Stelle, es hat Eile.
Da war ich plötzlich aus meiner Einsiedelei und Nutzlosigkeit gerissen und trieb wieder im Strom des Lebens, hatte Hoffnungen und Sorgen, bangte und freute mich. Es gab nichts, was mich hielt, und meine Eltern waren froh, mich auf die Bahn kommen und einen ersten entschiedenen Schritt ins Leben tun zu sehen. Ich telegraphierte unverweilt, und drei Tage später war ich schon in R. und bei Muoth.
Ich war in einem Hotel abgestiegen, hatte ihn besuchen wollen und nicht gefunden. Nun kam er in den Gasthof und stand unvermutet vor mir. Er gab mir die Hand, fragte nach nichts und erzählte nichts und teilte meine Erregung nicht im mindesten. Er war gewohnt, sich treiben zu lassen und immer nur den gegenwärtigen Augenblick ernst zu nehmen und auszuleben. Er ließ mir kaum Zeit, mich umzukleiden, und brachte mich zum Kapellmeister Rößler.
»Das ist Herr Kuhn«, sagte er.
Rößler nickte kurz. »Freut mich. Was wünschen Sie?«
»Nun«, rief Muoth, »das ist der Geiger.«
Der Kapellmeister sah mich erstaunt an, wandte sich wieder zu dem Sänger und meinte grob: »Davon haben Sie mir nichts gesagt, dass der Herr lahm ist. Ich muss Leute mit geraden Gliedern haben.«
Mir stieg das Blut ins Gesicht, aber Muoth blieb ruhig. Er lachte nur. »Soll er denn tanzen, Rößler? Ich meinte, er solle geigen. Wenn er das nicht kann, so müssen wir ihn wieder schicken. Aber das wollen wir doch zuerst probieren.«
»Also meinetwegen, Leute. Herr Kuhn, kommen Sie morgen früh zu mir, so nach neune! Hier in die Wohnung. Sind Sie bös wegen des Fußes? Ja, das hätt mir der Muoth auch vorher sagen können. Na, wir werden sehen. Auf Wiederschauen.«
Im Weggehen machte ich Muoth Vorwürfe deswegen. Er zuckte die Achseln und meinte, wenn er gleich anfangs von meinem Gebrechen gesprochen hätte, würde der Kapellmeister schwerlich zugestimmt haben; nun aber sei ich einmal da, und wenn Rößler halbwegs mit mir zufrieden sei, werde ich ihn bald von besseren Seiten kennenlernen.
»Aber wie haben Sie mich überhaupt empfehlen können?« fragte ich. »Sie wissen ja gar nicht, ob ich was kann.«
»Ja, das ist Ihre Sache. Ich dachte mir, es werde schon gehen, und es wird auch. Sie sind ein bescheidenes Kaninchen, dass Sie es nie zu etwas bringen würden, wenn man Ihnen nicht zuzeiten einen Stoß gäbe. Das war einer, nun taumeln Sie weiter! Angst brauchen Sie nicht zu haben. Ihr Vorgänger hat nicht viel getaugt.«