Читаем Gertrud / Гертруда. Книга для чтения на немецком языке полностью

So wunderlich ist der Mensch, dass ich mitten im neuen Leben und nach erfüllten Wünschen manchmal merkwürdig von einem flüchtigen, nur leise und unter Schleiern empfundenen Heimweh nach Einsamkeit, ja Langeweile und Leere der Tage befallen wurde. Dann erschien mir die vergangene Zeit in der Heimatstadt, deren trister Ereignislosigkeit ich so dankbar entronnen war, wie etwas Ersehnenswertes, namentlich aber dachte ich an die Wochen im Gebirge vor zwei Jahren mit wahrem Heimweh. Ich glaubte zu fühlen, dass ich nicht zu Wohlergehen und Glück bestimmt sei, sondern zu Schwäche und Unterliegen im Leben, und dass ohne diese Schatten und Opfer mir der Quell des Schaffens trüber und ärmer fließen müsse. Wirklich war zunächst von stillen Stunden und von schöpferischer Arbeit keine Rede. Und während es mir wohl ging und ich ein reiches Leben führte, meinte ich in der Tiefe immer den verschütteten Born leise rauschen und klagen zu hören.

Das Geigen im Orchester machte mir Freude, ich saß viel über Partituren und tastete mit Verlangen vorwärts in diese Welt hinein. Langsam lernte ich, was ich nur theoretisch und aus der Ferne gekannt hatte, die Art und Farbe und Bedeutung der einzelnen Instrumente von unten herauf zu verstehen, sah und studierte daneben die Bühnenmusik und hoffte immer ernsthafter auf die Zeit, wo ich mich an eine eigene Oper würde wagen dürfen.

Mein vertrauter Umgang mit Muoth, der eine der ersten und ehrenvollsten Stellen an der Oper einnahm, brachte mir das Ganze rasch näher und nützte mir viel. Bei meinesgleichen aber, bei den Kollegen vom Orchester, schadete mir das sehr, es kam nicht zu dem freundschafftlich offenen Verhältnis, zu dem ich gewillt war. Nur unser erster Geiger, namens Teiser, kam mir entgegen und wurde mein Freund. Er war wohl zehn Jahre älter als ich, ein schlichter offener Mann mit einem feinen, zarten, leicht errötenden Gesicht und erstaunlich musikalisch, namentlich von einem unglaublich zarten und scharfen Gehör. Er war einer von denen, die in ihrer Kunst Genüge finden, ohne selber eine Rolle spielen zu wollen. Er war kein Virtuos und hat auch nie komponiert, er spielte zufrieden seine Geige und hatte seine Herzensfreude daran, das Handwerk im Grunde zu kennen. Jede Ouvertüre[50] kannte er wie kaum ein Dirigent durch und durch, und wo eine Finesse und Glanzstelle kam, wo der Einsatz eines Instrumentes schön und originell hervorleuchtete, da strahlte er und genoss es wie niemand im ganzen Hause. Er spielte fast alle Instrumente, so dass ich täglich von ihm lernen und ihn fragen konnte.

Monatelang sprachen wir kein Wort miteinander als vom Handwerk, aber ich hatte ihn lieb, und er sah, dass ich mit Ernst dabei war, etwas zu lernen, so entstand ein unberedetes Einvernehmen, dem nicht mehr viel zur Freundschafft fehlte. Da erzählte ich ihm schließlich von meiner Violinsonate und bat ihn, sie einmal mit mir zu spielen. Er sagte freundlich zu und kam am bestimmten Tag in meine Wohnung. Da hatte ich, um ihm eine Freude zu machen, einen Wein aus seiner Heimat besorgt, von dem tranken wir ein Glas, dann legte ich die Noten auf, und wir fingen an. Er spielte vorzüglich vom Blatt, aber plötzlich hörte er auf und ließ den Bogen sinken.

»Sie, Kuhn«, sagte er, »das ist ja eine verdammt schöne Musik. Die spiel ich nicht so herunter, die wird zuerst studiert. Ich nehme sie mit heim. Darf ich?«

Ja, und als er wiederkam, spielten wir die Sonate durch, zweimal, und als das fertig war, schlug er mir auf die Schulter und rief: »Sie Duckmäuser, Sie! Da tun Sie immer wie ein kleiner Bub, und heimlich machen Sie solche Sachen! Ich will ja nicht viel sagen, ich bin kein Professor, aber sakrisch schön ist’s!«

Das war das erstemal, dass jemand meine Arbeit lobte, zu dem ich wirklich Vertrauen hatte. Ich zeigte ihm alles; auch die Lieder, die gerade im Druck waren und bald darauf erschienen. Aber dass ich so kühn war, an eine Oper zu denken, wagte ich ihm doch nicht zu sagen.

In dieser guten Zeit erschreckte mich ein kleines Erlebnis, das ich nimmer vergessen konnte. Bei Muoth, zu dem ich häufig kam, hatte ich die schöne Lotte seit einiger Zeit nicht mehr angetroffen, mir aber keine Gedanken darüber gemacht, denn in seine Liebesgeschichten mochte ich mich nicht mischen, sie am liebsten gar nicht kennen. Darum hatte ich nie nach ihr gefragt, und er sprach mit mir ohnehin nie von diesen Sachen.

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Джеймс Джойс – великий ирландский писатель, классик и одновременно разрушитель классики с ее канонами, человек, которому более, чем кому-либо, обязаны своим рождением новые литературные школы и направления XX века. В историю мировой литературы он вошел как автор романа «Улисс», ставшего одной из величайших книг за всю историю литературы. В настоящем томе представлена вся проза писателя, предшествующая этому великому роману, в лучших на сегодняшний день переводах: сборник рассказов «Дублинцы», роман «Портрет художника в юности», а также так называемая «виртуальная» проза Джойса, ранние пробы пера будущего гения, не опубликованные при жизни произведения, таящие в себе семена грядущих шедевров. Книга станет прекрасным подарком для всех ценителей творчества Джеймса Джойса.

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