Читаем Gertrud / Гертруда. Книга для чтения на немецком языке полностью

Nun tat sie mir wieder leid, doch mochte ich die törichte Szene nicht von vorn anfangen lassen, darum schwieg ich und öffnete ihr die Tür, auf die sie zuschritt. Ich begleitete sie, an der neugierigen Wirtin vorbei, bis zur Treppe; da verbeugte ich mich, und sie ging, ohne mehr etwas zu sagen oder mich anzusehen.

Traurig sah ich ihr nach und ward den Anblick lange Zeit nicht los. War ich wirklich ein ganz anderer Mensch als diese alle, als Marion, als Lotte, als Muoth? War das wirklich die Liebe? Ich sah sie alle, diese Menschen der Leidenschafft, wie von Stürmen getrieben taumeln und ins Ungewisse wehen, den Mann von Verlangen heute, von Überdruss morgen gepeinigt, düster liebend und brutal abbrechend, keiner Neigung sicher und keiner Liebe froh, und die Frauen hingerissen, Beleidigungen, Schläge tragend, endlich verstoßen und doch an ihm hängend, von Eifersucht und verschmähter Liebe entwürdigt, hundetreu. An jenem Tage geschah es seit sehr langer Zeit zum erstenmal, dass ich weinte. Ich weinte unwillige, zornige Tränen um diese Menschen, um meinen Freund Muoth, um das Leben und die Liebe, und stillere, heimliche Tränen um mich selber, der ich zwischen all dem lebte, wie auf einem anderen Sterne, der das Leben nicht begriff, der nach Liebe verschmachtete und sie doch fürchten musste.

Zu Heinrich Muoth ging ich lange nicht mehr. Er feierte in dieser Zeit Triumphe als Wagnersänger und begann für einen »Stern« zu gelten. Zugleich trat auch ich bescheidentlich an die Öffentlichkeit. Es erschienen meine Lieder im Druck und fanden freundliche Aufnahme, und zwei meiner Sachen für Kammermusik wurden in Konzerten aufgeführt. Es war noch eine stille, ermunternde Anerkennung unter Freunden, die Kritik hielt sich abwartend still oder ließ mich zunächst als einen Anfänger schonend gelten.

Ich war viel mit dem Geiger Teiser zusammen, er hatte mich gern und lobte meine Arbeiten in kameradschafftlicher Freude, prophezeite mir große Erfolge und war immer bereit, mit mir zu musizieren. Dennoch fehlte mir etwas. Es zog mich zu Muoth, doch mied ich ihn immer noch. Von Lotte hörte ich nichts mehr. Warum war ich nicht zufrieden? Ich schalt mich selber, dass ich bei dem treuen, prächtigen Teiser nicht mein Genügen fand. Aber auch bei ihm fehlte mir etwas. Er war mir zu heiter, zu sonnig, zu sehr zufrieden, er schien keine Abgründe zu kennen. Auf Muoth war er nicht gut zu sprechen[52]. Manchmal im Theater, wenn Muoth sang, sah er mich an und flüsterte: »Da, wie er wieder pfuscht! Das ist schon ein ganz Verwöhnter! Mozart singt er keinen, er weiß warum.« Ich musste ihm recht geben und tat es doch nicht mit dem Herzen, ich hing an Muoth und mochte ihn doch nicht verteidigen. Muoth hatte etwas, was Teiser nicht hatte und nicht kannte und was mich mit ihm verband. Das war das ewige Begehren, die Sehnsucht und Ungenüge. Die trieben mich zu Studium und Arbeit, die ließen mich nach Menschen greifen, die mir entglitten, gerade wie Muoth, den dieselbe Ungenüge auf andere Weise stachelte und peinigte. Musik würde ich immer machen, das wusste ich, aber mich verlangte danach, auch einmal aus Glück und Überfluss und ungebrochener Freude zu schaffen, statt immer aus Sehnsucht und Mangel des Herzens. Ach, warum wurde ich nicht durch das glücklich, was ich zu eigen hatte, durch meine Musik? Und warum wurde Muoth es nicht durch das, was er besaß, durch seine wilde Lebenskraft und seine Frauen?

Teiser war glücklich, ihn quälte kein Verlangen nach Unerreichbarem. Er hatte seine zarte, selbstlose Freude an der Kunst, von der er nicht mehr verlangte, als sie ihm gab, und außerhalb der Kunst war er noch genügsamer, da brauchte er nur ein paar freundliche Menschen, gelegentlich ein gutes Glas Wein und an freien Tagen einen Ausflug in die Landschafft, denn er war ein Wanderer und Luftfreund. Wenn an der Lehre der Theosophen etwas war, dann musste dieser Mann schon nahezu ein Vollendeter sein, so gut war sein Wesen und so wenig ließ er Leidenschafft und Unzufriedenheit in sein Herz kommen. Dennoch wünschte ich, wenn ich es auch vielleicht mir versagte, nicht zu sein wie er. Ich wollte kein anderer sein, ich wollte in meiner Haut bleiben[53], die mir doch oft zu eng war. Ich begann Macht in mir zu spüren, seit meine Arbeiten leise zu wirken anfingen, und ich war schon im Begriff, stolz zu werden. Irgendeine Brücke zu den Menschen musste ich finden, ich musste auf irgendeine Weise mit ihnen leben können, ohne stets der Unterliegende zu sein. Gab es nun keinen anderen Weg, so führte vielleicht doch meine Musik dahin. Wenn sie mich nicht lieben wollten, so würden sie mein Werk lieben müssen.

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Джеймс Джойс – великий ирландский писатель, классик и одновременно разрушитель классики с ее канонами, человек, которому более, чем кому-либо, обязаны своим рождением новые литературные школы и направления XX века. В историю мировой литературы он вошел как автор романа «Улисс», ставшего одной из величайших книг за всю историю литературы. В настоящем томе представлена вся проза писателя, предшествующая этому великому роману, в лучших на сегодняшний день переводах: сборник рассказов «Дублинцы», роман «Портрет художника в юности», а также так называемая «виртуальная» проза Джойса, ранние пробы пера будущего гения, не опубликованные при жизни произведения, таящие в себе семена грядущих шедевров. Книга станет прекрасным подарком для всех ценителей творчества Джеймса Джойса.

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