Solche törichte Gedanken ward ich nicht los. Und doch war ich bereit, mich hinzugeben und zum Opfer zu bringen, wenn nur jemand mich wollte, wenn nur jemand mich wirklich verstünde. War nicht Musik das geheime Gesetz der Welt, gingen nicht die Erden und Sterne harmonisch im Reigen[54]
? Und ich sollte allein bleiben und die Menschen nicht finden, deren Wesen mit meinem rein und schön zusammenklang?Ein Jahr war mir in der fremden Stadt vergangen. Außer mit Muoth, Teiser und unserm Kapellmeister Rößler hatte ich zu Anfang sehr wenig Umgang gehabt, in letzter Zeit aber war ich in eine größere Geselligkeit hineingeraten, die mir nicht lieb und nicht leid war. Durch die Aufführung meiner Stücke für Kammermusik war ich mit den Musikern der Stadt auch außerhalb des Theaters bekannt geworden, ich trug jetzt eine leichte, angenehme Bürde eines sachte ansetzenden Ruhmes im kleinen Kreise, ich merkte, dass man mich kannte und beobachtete. Von allem Ruhm ist das der süßeste, der noch nicht auf große Erfolge blickt, noch keinen Neid erregen kann, noch nicht absondert. Man geht umher mit dem Gefühl, da und dort beachtet, genannt, belobt zu werden, man begegnet freundlichen Gesichtern, sieht Anerkannte wohlwollend nicken und Jüngere mit Achtung grüßen, und immer trägt man das heimliche Gefühl, dass das Beste noch komme, wie es ja aller Jugend geht, bis sie sieht, das Beste liegt schon dahinten. Beeinträchtigt wurde mein Wohlgefühl am meisten dadurch, dass ich immer etwas Mitleid in der Anerkennung fühlte. Oft kam es mir sogar vor, man schone mich und sei so freundlich, weil ich eben ein armer Kerl und Krüppel sei, dem man gern etwas Tröstliches gönne.
Nach einem Konzert, in dem ein Geigenduo von mir gespielt worden war, machte ich die Bekanntschafft des reichen Fabrikanten Imthor, der für einen eifrigen Musikfreund und Gönner junger Talente galt. Es war ein ziemlich kleiner, ruhiger Mann mit grau werdenden Haaren, dem man weder seinen Reichtum noch sein inniges Verhältnis zur Kunst ansah. Aus dem, was er mir sagte, konnte ich aber wohl merken, wieviel er von Musik verstand: er lobte nicht in den Tag hinein[55]
, sondern gab einen ruhigen, sachlichen Beifall, der mehr wert war. Er erzählte mir, was ich von der andern Seite längst wusste, dass in seinem Hause manchen Abend Musik gemacht werde, alte und neue. Er lud mich ein und sagte zum Schluss: »Ihre Lieder liegen auch bei uns, wir haben sie gern. Auch meine Tochter wird sich freuen.«Noch ehe ich kam, ihm einen Besuch zu machen, erhielt ich eine Einladung. Herr Imthor bat um die Erlaubnis, mein Trio in Es-Dur[56]
in seinem Hause aufführen zu lassen. Ein Geiger und ein Cellist, tüchtige Dilettanten, stünden zur Verfügung, und die erste Geige sei mir vorbehalten, falls ich Lust hätte mitzuspielen. Ich wusste, dass Imthor die Berufsmusiker, die bei ihm spielten, stets gut honorierte. Das hätte ich ungern angenommen, und doch wusste ich nicht, wie die Einladung gemeint war. Schließlich nahm ich doch an, die beiden Mitspieler fanden sich bei mir ein und holten ihre Stimmen, wir hatte einige Proben. Inzwischen machte ich meinen Besuch bei Imthor, traf aber niemand an. So kam der bestimmte Abend.Imthor war Witwer, er wohnte in einem der alten, einfachen stattlichen Bürgerhäuser, einem der wenigen, die noch mitten in der groß gewordenen Stadt ihre alten Gärten unverkürzt um sich hatten. Vom Garten sah ich wenig, als ich abends kam, nur eine kurze Allee von hohen Platanen, deren Stämme im Laternenlicht die hellen Flecken zeigten, und dazwischen ein paar alte, dunkel gewordene Steinbilder. Hinter den großen Bäumen lag bescheiden das alte, breit und nieder gebaute Haus, in dem von der Eingangstür weg durch die Korridore, Treppen und alle Räume hindurch die Wände dicht voll alter Bilder hingen, Mengen von Familienbildnissen und schwarz gewordenen Landschafften, altmodische Veduten[57]
und Tierstücke. Ich kam gleichzeitig mit anderen Gästen an, wir wurden von einer Hausdame empfangen und eingeführt.Die Gesellschafft war nicht gar groß, doch drängte sie sich in den mäßigen Räumen etwas eng, bis die Türen zum Musikraum geöffnet wurden. Hier war es weit, und alles sah neu aus, der Flügel, die Notenschränke, die Lampen, die Stühle, nur die Bilder an den Wänden waren auch hier alle alt.
Meine Mitspieler waren schon da, wir stellten unsere Pulte auf, schauten nach den Lichtern und begannen zu stimmen. Da ging zuhinterst im Saal eine Tür, und es kam durch den erst halb erleuchteten Raum eine hellgekleidete Dame geschritten. Die beiden Herren begrüßten sie mit Auszeichnung, ich sah, dass es die Tochter Imthors sei. Sie sah mich einen Augenblick fragend an, dann bot sie mir, ehe ich noch vorgestellt war, die Hand und sagte: »Ich kenne Sie schon, Sie sind Herr Kuhn? Willkommen!«