Читаем Gertrud / Гертруда. Книга для чтения на немецком языке полностью

Nun saß ich eines Nachmittags in meiner Stube und studierte eine Partitur. Am Fenster lag meine schwarze Katze und schlief, es war im ganzen Hause still. Da ging draußen die Tür, jemand kam herein, ward von der Wirtin begrüßt und aufgehalten, machte sich los und kam auf meine Tür zu, an der auch sofort gepocht wurde. Ich ging hin und machte auf, da kam eine große, elegante Frauensperson mit verschleiertem Gesicht herein und schloss die Tür hinter sich. Sie tat ein paar Schritte ins Zimmer, holte tief Atem und nahm endlich den Schleier ab. Ich erkannte Lotte. Sie sah erregt aus, und ich ahnte gleich, warum sie gekommen sei. Auf meine Bitte setzte sie sich, sie hatte mir die Hand gegeben, aber noch kein Wort gesagt. Da sie meine Befangenheit merkte, schien sie erleichtert, als habe sie gefürchtet, ich möchte sie gleich wieder fortschicken.

»Ist es wegen Heinrich Muoth?« fragte ich endlich.

Sie nickte. »Haben Sie etwas gewusst?«

»Ich weiß nichts, ich dachte es mir nur.«

Sie sah mir ins Gesicht wie ein Kranker dem Arzt, schwieg und zog langsam die Handschuhe aus. Plötzlich stand sie auf, legte mir beide Hände auf die Schultern und starrte mich aus großen Augen an.

»Was soll ich tun? Er ist nie zu Hause, er schreibt mir nimmer, er macht nicht einmal meine Briefe auf! Seit drei Wochen hab ich ihn nimmer sprechen können. Gestern war ich dort, ich weiß, dass er daheim war, aber er hat nicht aufgemacht. Nicht einmal dem Hund hat er gepfiffen, er hat mir das Kleid zerrissen, der will mich auch schon nimmer kennen.«

»Haben Sie denn Streit mit ihm gehabt?« fragte ich, um nicht gar so dumm dabeizusitzen.

Sie lachte. »Streit? Ach, Streit haben wir genug gehabt, von Anfang an! An das war ich schon gewöhnt. Nein, in der letzten Zeit ist er sogar höflich gewesen, es wollte mir gleich nicht gefallen. Einmal war er nicht da, wenn er mich bestellt hatte; einmal meldete er sich an und kam nicht. Schließlich sagte er auf einmal Sie zu mir! Ach, wenn er mich lieber wieder geschlagen hätte!«

Ich erschrak heftig. »Geschlagen…?«

Wieder lachte sie. »Wissen Sie das nicht? Oh, er hat mich oft geschlagen, aber jetzt schon lange nicht mehr. Er ist höflich geworden, er hat Sie zu mir gesagt, und jetzt kennt er mich nimmer. Er hat eine andere, glaube ich. Darum bin ich gekommen. Sagen Sie mir’s, ich bitte! Hat er eine andere? Sie wissen es! Sie müssen es wissen!«

Eh[51] ich abwehren konnte, hatte sie meine beiden Hände gefasst. Ich war wie erstarrt, und so sehr ich abzulehnen und die ganze Szene zu kürzen wünschte, war ich doch fast froh, dass sie mich gar nicht zu Worte kommen ließ, denn ich hätte nicht gewusst, was sagen.

Sie, in Hoffnung und Jammer, war zufrieden, dass ich sie anhörte, und bat und erzählte und klagte mit ausbrechender Leidenschafft. Ich aber sah ihr immerzu in das tränenvolle, reife, schöne Gesicht und konnte nichts anderes denken als: »Er hat sie geschlagen!« Ich meinte seine Faust zu sehen, und mir graute vor ihm und vor ihr, die nach Schlägen und Verachtung und Abweisung keinen anderen Gedanken und Wunsch zu haben schien, als den Weg zu ihm und zu den alten Demütigungen zurückzufinden.

Endlich versiegte die Flut. Lotte redete langsamer, schien befangen und der Situation bewusst zu werden und verstummte. Zugleich ließ sie meine Hände los.

»Er hat keine andere«, sagte ich leise, »wenigstens weiß ich nichts davon und glaube es nicht.«

Sie schaute mich dankbar an.

»Aber helfen kann ich Ihnen nicht«, fuhr ich fort. »Ich rede nie mit ihm über solche Sachen.«

Wir waren beide eine Weile still. Ich musste an Marion denken, an die schöne Marion und an jenen Abend, da ich mit ihr durch die Föhnluft gegangen war, an ihrem Arm, und sie sich so tapfer zu ihrem Geliebten bekannt hatte. Hatte er die auch geschlagen? Und lief auch die ihm noch nach?

»Warum sind Sie denn zu mir gekommen?« fragte ich.

»Ich weiß nicht, ich musste doch etwas tun. Glauben Sie nicht, dass er noch an mich denkt? Sie sind ein guter Mensch Sie helfen mir! Sie könnten es doch versuchen, ihn einmal zu fragen, einmal von mir reden…«

»Nein, das kann ich nicht. Wenn er Sie noch liebt, wird er von selber wieder zu Ihnen kommen. Und wenn nicht, dann «

»Was dann?«

»Dann sollten Sie ihn eben laufen lassen, er verdient es nicht, dass Sie sich so weit demütigen.«

Da lächelte sie plötzlich.

»Oh, Sie! Was wissen Sie von der Liebe!«

Sie hat recht, dachte ich, aber es tat mir doch weh. Wenn schon die Liebe nicht zu mir kommen wollte, wenn ich schon nebendraußen stand, warum sollte ich den Vertrauten und Helfer machen bei anderen? Ich hatte Mitleid mit der Frau, aber ich verachtete sie noch mehr. Wenn das die Liebe ist, Grausamkeit hier und Erniedrigung dort, dann ließ sich ohne Liebe besser leben.

»Ich will nicht streiten«, sagte ich kühl. »Ich verstehe diese Art von Liebe nicht.«

Lotte band ihren Schleier wieder um.

»Ja, ich gehe schon.«

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Джеймс Джойс – великий ирландский писатель, классик и одновременно разрушитель классики с ее канонами, человек, которому более, чем кому-либо, обязаны своим рождением новые литературные школы и направления XX века. В историю мировой литературы он вошел как автор романа «Улисс», ставшего одной из величайших книг за всю историю литературы. В настоящем томе представлена вся проза писателя, предшествующая этому великому роману, в лучших на сегодняшний день переводах: сборник рассказов «Дублинцы», роман «Портрет художника в юности», а также так называемая «виртуальная» проза Джойса, ранние пробы пера будущего гения, не опубликованные при жизни произведения, таящие в себе семена грядущих шедевров. Книга станет прекрасным подарком для всех ценителей творчества Джеймса Джойса.

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