Читаем Gertrud / Гертруда. Книга для чтения на немецком языке полностью

»Das werden Sie sehen, warten Sie!« Er lief weg und blieb eine Weile aus, während ich erstaunt in ungewisser Erwartung saß und in den Garten hinuntersah, wo Zwergobstbäume in tadellosen Reihen standen. Bald kam Lohe wieder gelaufen. Strahlend sah er mich an und streckte mir ein Büchlein entgegen, das trug inmitten einer geheimnisvollen Linienkunst die Aufschrift: »Theosophischer[47] Katechismus für Anfänger«.

»Nehmen Sie das mit!« bat er. »Sie können es behalten, und wenn Sie weiterstudieren wollen, kann ich Ihnen noch mehr leihen. Das hier ist nur zur Einführung. Ich verdanke dieser Lehre alles. Ich bin durch sie gesund geworden an Leib und Seele und hoffe, es wird auch Ihnen so gehen.«

Ich nahm das kleine Buch hin und steckte es ein. Der Mann begleitete mich durch den Garten zur Straße hinab, nahm freundlich Abschied und bat mich bald wiederzukommen. Ich sah ihm ins Gesicht, das war gut und froh, und mir schien, es könne nicht schaden, den Weg zu solchem Glück einmal zu versuchen. So ging ich heim, das Büchlein in der Tasche, neugierig auf die ersten Schritte dieses Pfades zur Glückseligkeit.

Doch beschritt ich ihn erst nach einigen Tagen. Bei der Heimkehr zogen die Noten mich wieder heftig an sich, ich stürzte mich darein und schwamm in Musik, schrieb und spielte, bis der Sturm für diesmal verrauscht war und ich ernüchtert ins Tagesleben zurückkehrte. Da empfand ich alsbald das Bedürfnis, die neue Lehre zu studieren, und setzte mich hinter das kleine Buch, das ich bald erschöpfen zu können glaubte.

Es ging aber nicht so leicht. Das kleine Büchlein schwoll mir unter den Händen und zeigte sich am Ende unüberwindlich. Es begann mit einer hübschen und anziehenden Einleitung über die vielen Wege zur Weisheit, deren jeder seine Geltung habe, und über die theosophische Brüderschafft derer, die in Freiheit nach Wissen und innerer Vollkommenheit streben wollen, denen jeder Glaube heilig und jeder Pfad zum Lichte willkommen ist. Alsdann kam eine Kosmogonie[48], die ich nicht verstand, eine Einteilung der Welt in verschiedene »Ebenen« und der Geschichte in merkwürdige, mir unbekannte Zeitalter, wobei auch das versunkene Land Atlantis eine Rolle spielte. Ich ließ dieses einstweilen auf sich beruhen und machte mich an die anderen Kapitel, wo die Lehre von der Wiedergeburt dargestellt war, die ich besser verstand. Doch wurde mir nicht recht klar, ob das alles eine Mythologie und poetische Fabel oder wörtliche Wahrheit zu sein begehre. Es schien das letztere der Fall zu sein, was mir nicht eingehen wollte. Nun kam die Lehre vom Karma. Sie zeigte sich mir als eine religiöse Verehrung des Kausalitätsgesetzes, die mir nicht übel gefiel. Und so ging es weiter. Ich sah bald gar wohl ein, dass diese ganze Lehre nur für den ein Trost und ein Schatz sein könne, der sie möglichst wörtlich und tatsächlich hinnehme und innig glaube. Wem sie, wie mir, ein zum Teil schönes, zum Teil krauses Sinnbild, der Versuch einer mythologischen Welterklärung war, der konnte zwar von ihr lernen und ihr Achtung gönnen, nicht aber Leben und Kraft von ihr haben. Man konnte vielleicht Theosoph sein mit Geist und Würde, aber jener endgültige Trost winkte nur denen, die es ohne viel Geist in einfältigem Glauben waren. Das war einstweilen nichts für mich.

Doch ging ich noch mehrmals zu dem Präzeptor hin, der vor zwölf Jahren mich und sich mit dem Griechischen geplagt hatte und nun auf so andere Weise, und doch ebenso erfolglos, mein Lehrer und Führer zu sein strebte. Freunde wurden wir nicht, aber ich kam gerne zu ihm, er war einige Zeit hindurch der einzige Mensch, mit dem ich über wichtige Fragen meines Lebens redete. Dabei machte ich zwar die Erfahrung, dass dieses Reden keinen Wert hat und im besten Fall zu gescheiten Sprüchen führt; doch war mir dieser gläubige Mann, den Kirche und Wissenschafft kühl gelassen hatten und der nun in der späteren Hälfte des Lebens im naiven Glauben an eine merkwürdig ausgeklügelte Lehre den Frieden und die Herrlichkeit der Religion erlebte, rührend und beinahe ehrwürdig.

Mir ist, bei allem Bemühen, dieser Weg bis heute unzugänglich geblieben, und ich habe zu frommen und in irgendeinem Glauben befestigten und befriedigten Menschen eine bewundernde Hinneigung, die sie mir nicht erwidern können.

Viertes Kapitel

Während der kurzen Zeit meiner Besuche bei dem frommen Theosophen und Obstzüchter erhielt ich eines Tages eine kleine Geldanweisung, deren Herkunft mir dunkel war. Abgesandt war sie von einem bekannten norddeutschen Konzertagenten, mit dem ich jedoch niemals zu tun gehabt hatte. Auf meine Frage ward mir die Antwort, der Betrag sei im Auftrag des Herrn Heinrich Muoth angewiesen und stelle mein Honorar dafür dar, dass Muoth in sechs Konzerten ein von mir komponiertes Lied gesungen habe.

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Джеймс Джойс – великий ирландский писатель, классик и одновременно разрушитель классики с ее канонами, человек, которому более, чем кому-либо, обязаны своим рождением новые литературные школы и направления XX века. В историю мировой литературы он вошел как автор романа «Улисс», ставшего одной из величайших книг за всю историю литературы. В настоящем томе представлена вся проза писателя, предшествующая этому великому роману, в лучших на сегодняшний день переводах: сборник рассказов «Дублинцы», роман «Портрет художника в юности», а также так называемая «виртуальная» проза Джойса, ранние пробы пера будущего гения, не опубликованные при жизни произведения, таящие в себе семена грядущих шедевров. Книга станет прекрасным подарком для всех ценителей творчества Джеймса Джойса.

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