»Entschuldigen Sie, Ma’am, aber ist das hier das Haus von Mister, ähm, Pendergast?« Er sprach sogar mit dem Five-Points-Akzent und dem Tonfall eines Straßenjungen.
Sie blieb in einiger Entfernung vor ihm stehen. »Warum möchtest du das denn wissen, junger Mann?«
»Weil man mich dafür bezahlt hat, dass ich ihm das hier gebe.« Dabei zog er einen Briefumschlag aus der Gesäßtasche. »Außerdem scheint niemand da zu sein, der die Tür öffnet.«
Mrs. Trask dachte einen Augenblick lang nach. Dann streckte sie die Hand aus. »Na gut, ich werde dafür sorgen, dass er ihn bekommt. Und nun verschwinde.«
Der Junge überreichte ihr den Brief. Dann strich er sich eine Locke aus dem Gesicht, drehte sich um und eilte davon, die Auffahrt hinunter.
Mrs. Trask schaute zu, wie er im Getriebe der Stadt verschwand. Dann begab sie sich kopfschüttelnd zum hinteren Eingang in die Küche. Wirklich, man wusste nie, was einen erwartete, wenn man für Mr. Pendergast arbeitete.
Sie fand ihn in der Bibliothek sitzend vor. Eine Tasse Grüntee unangerührt auf dem Tisch neben sich, sah er in das fast erloschene Kaminfeuer.
»Mr. Pendergast.« Sie blieb im Türrahmen stehen.
Der Agent reagierte nicht.
»Mr. Pendergast?«, sagte sie ein wenig lauter.
Daraufhin regte er sich. »Ja, Mrs. Trask?« Er drehte sich zu ihr um.
»Draußen vor der Tür war ein Junge. Er hat gesagt, dass niemand an die Tür geht. Haben Sie es denn nicht läuten hören?«
»Nein, das habe ich nicht.«
»Er hat gesagt, dass man ihn dafür bezahlt hat, Ihnen diesen Brief zu bringen.« Sie brachte ihm das schmutzige, gefaltete Kuvert auf einem Silbertablett. »Wieso ist Proctor eigentlich nicht zur Tür gegangen?« Diese Frage musste sie einfach hinzufügen, denn sie stand Proctor und den Freiheiten, die er sich gegenüber dem Hausherrn herausnahm, ein wenig ablehnend gegenüber.
Pendergast betrachtete den Brief mit einem Gesichtsausdruck, aus dem Mrs. Trask nicht ganz schlau wurde. »Ich glaube, Proctor ist nicht zur Tür gegangen, weil niemand geklingelt hat. Der Junge hat Sie angelogen. Also, wenn Sie den Brief bitte auf den Tisch legen würden.«
Sie stellte das Silbertablett neben das Teeservice. »Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«
»Im Augenblick nicht, vielen Dank, Mrs. Trask.«
Pendergast wartete, bis sie die Bibliothek verlassen hatte, ihre Schritte auf dem Flur verklungen waren und es im ganzen Haus wieder still war. Doch er bewegte sich noch immer nicht, handelte nicht, tat nichts, außer den Briefumschlag zu betrachten, so wie man vielleicht einen Sprengkörper beäugt. Auch wenn er nicht sicher sein konnte, worum es sich bei dem Kuvert handelte, er hatte doch eine ziemlich starke Vermutung.
Schließlich beugte er sich vor, hob den Brief am einen Ende an und faltete ihn auseinander. Nur ein Wort stand auf dem Umschlag, getippt auf einer alten Schreibmaschine: ALOYSIUS. Pendergast betrachtete das Wort einen langen Augenblick, wobei seine böse Vorahnung stärker wurde. Schließlich schlitzte er das Kuvert an der schmalen Seite mit einem Springmesser auf, das er in der Nähe als Brieföffner aufbewahrte. Als er in den Umschlag blickte, sah er ein einzelnes Blatt Kanzleipapier und einen kleinen USB-Speicherstick. Er ließ das Blatt auf das Silbertablett gleiten, dann faltete er es mithilfe des Springmessers auseinander.
Der mit Schreibmaschine geschriebene Brief darin war nicht lang.