Sein zweiter Fehler war taktischer Natur gewesen: Ozmian den Artikel vor der Veröffentlichung zu zeigen. Das hatte nicht nur sein Vorhaben verraten, sondern Ozmian auch Zeit zum Reagieren gegeben. Er machte sich bittere Vorwürfe, denn er erinnerte sich nur allzu gut daran, wie Ozmians rechte Hand zu Beginn ihres Treffens für einige Minuten den Raum verlassen hatte – und dann, zweifellos, nachdem sie die Lügengeschichte in Gang gesetzt hatte, zurückgekehrt war. Anschließend hatten sie ihn in dem Büro festgehalten, indem sie mit ihm redeten, während die Falle zuschnappte. Als er schließlich das DigiFlood-Gebäude verlassen hatte, ganz beseelt von seinem Erfolg, war er bereits weg vom Fenster. Und während abermals eine Welle der Frustration und Scham über ihm zusammenschlug, fiel ihm ein, was Ozmian zu ihm gesagt hatte:
Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, tatsächlich aber waren erst sechs Stunden vergangen, als seine beiden Zellengenossen, die ihn zum Glück ignorierten, aus der Gefängniszelle herausgeholt wurden. Dann kam er an die Reihe. Ein Vollzugsbeamter schloss die Tür auf und führte ihn den Gang entlang zu einem sehr kleinen Raum mit Stühlen und einem Tisch. Ihm wurde gesagt, er solle sich setzen. Kurz darauf erschien ein Mann, der einen gut geschnittenen Anzug und blank polierte Schuhe trug, die beim Gehen quietschten. Er hatte ein heiteres, fast engelsgleiches Gesicht. Das war Leonard Greenbaum, der Anwalt, den Harriman engagiert hatte – kein Pflichtanwalt, sondern ein erfahrener und gewiefter Strafverteidiger, der teuerste, den Harriman sich – angesichts des Umstands, dass die meisten seiner Vermögenswerte inzwischen eingefroren waren – leisten konnte. Greenbaum nickte kurz zum Gruß, legte seine schwere Lederaktentasche auf den Tisch, nahm Harriman gegenüber Platz, klappte seine Aktentasche auf, holte einen Stapel Papiere heraus und breitete sie vor ihm aus.
»Ich will es kurz machen, Mr. Harriman«, sagte er und sah dabei die Unterlagen durch. »Schließlich gibt es an diesem Punkt wirklich nicht viel zu sagen. Zuerst die schlechte Nachricht. Die Staatsanwaltschaft hat einen wasserdichten Fall gegen Sie. Der Papierbeweis ist ganz leicht zu führen. Ihr liegen Dokumente vor, dass Sie ein Konto auf den Cayman-Inseln eröffnet haben, nebst einem Video, wie Sie die Bank betreten, die haben Unterlagen, wie Sie sämtliche Geldanlagen der Stiftung heimlich überwiesen haben, außerdem ist man im Besitz von Hinweisen, wonach Sie vorhaben, übermorgen mit einem One-way-Flugticket nach Laos außer Landes zu fliehen.«
Letzteres war Harriman neu. »Außer Landes fliehen? Nach
»Ja. Ihre Wohnung wurde per Gerichtsbeschluss durchsucht, sämtliche Dokumente und Computer wurden beschlagnahmt. Die haben alles gefunden, Mr. Harriman, mitsamt dem Online-Ticket. Die Beweise sind eindeutig.«
Greenbaums Stimme hatte einen betrübten, ja sogar vorwurfsvollen Tonfall angenommen, als wunderte er sich darüber, dass Harriman so dumm sein konnte.
Harriman stöhnte auf, legte den Kopf in beide Hände. »Schauen Sie, das ist alles ein abgekartetes Spiel. Eine Falle, um mich zu erpressen. Ozmian hat das alles aus der Luft gegriffen. Für ihn arbeiten die besten Hacker der Welt, und die haben die ganze Sache inszeniert! Ich habe Ihnen von meinen Treffen mit Ozmian erzählt, davon, wie er mir gedroht hat. Es muss Aufzeichnungen geben, dass ich mich in dem Gebäude aufgehalten habe, nicht einmal, sondern zweimal.«
»Mr. Ozmian gibt zwar zu, dass Sie sich in dem Gebäude aufgehalten haben, behauptet jedoch, dass Sie nach weiteren Informationen über seine Tochter für einen neuen Artikel gesucht hätten.«
»Er hat mir das aus reiner Rache angetan, wegen der Artikel, die ich über seine Tochter geschrieben habe! Der Mann hat mir eine SMS geschickt, unmittelbar nachdem ich das Gebäude verlassen hatte, in der er mir mitteilte, was er getan hat und warum.«
Der Anwalt nickte. »Sie beziehen sich, nehme ich an, auf den Text, der weder auf Ihrem Handy noch andernorts gefunden werden konnte.«
»Er muss irgendwo sein!«