HEUTE ABEND. Betet, fastet & bereitet euch auf das Kommende vor. Endgültiger ORT & Anweisungen werden um 15 Uhr verschickt.
The Passionate Pilgrim (@SavonarolaRedux)
3. Januar, 6.08 Uhr
Er las den Tweet noch einmal, dann noch einmal. Schließlich postete er ihn, schickte ihn auf den Weg. Um drei wollte er seine letzten Anweisungen versenden, danach würde alles in Gottes Hand liegen.
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Um kurz nach sechs Uhr morgens zirpte Howard Longstreets Mobiltelefon.
Er ächzte leise, setzte sich gerade hin und warf einen Blick auf das Gerät. Es handelte sich nicht um sein Privathandy, sondern um das berufliche Telefon, welches das FBI an seine Agenten und Führungskräfte ausgab. Es konnte sowohl Klartext als auch verschlüsselte Mails senden und empfangen – und das Icon auf dem Bildschirm verriet ihm, dass er eben eine verschlüsselte Nachricht von S. A. Pendergast erhalten hatte.
Er hob das Handy vom Nachttisch, ließ die E-Mail durch das Entschlüsselungsprogramm laufen, dann las er sie.
Wir müssen uns in einer sehr dringenden Angelegenheit sprechen. Bedeutender Durchbruch wurde erzielt. Verbindungen erweisen sich als viel tiefreichender als erwartet. Geheimhaltung ist entscheidend. Treffpunkt Old King’s Park, Gebäude 44, 14 Uhr, um Festnahme der Täter (sic!) zu planen. Jeder Kontaktversuch bis dahin nicht ratsam. Verstärkung ist entscheidend; bring Lt. D’Agosta mit, den ich ebenfalls benachrichtigt habe.
PS: Wir werden überwacht.
A.
Longstreet löschte die Nachricht, dann legte er das Handy nachdenklich zurück auf den Nachttisch. Täter. Der Plural war kein Tippfehler, wie das »sic« bewies. Mehr als einer. Das zog in der Tat größere Kreise als erwartet. Waren es Hightower und andere? Er versuchte, Pendergasts kurze Mitteilung zu verstehen. Allem Anschein nach hatte er eine entscheidende Entdeckung über den Mann gemacht. Aber die Nachricht bedeutete auch, dass Hightowers Verbindungen zu den Strafverfolgungsbehörden tiefer reichten, als sie beide vermutet hatten.
Pendergast hatte, wie Longstreet wusste, eine Abneigung gegen E-Mails und schickte nur selten welche. In diesem Fall war die Situation allerdings derart düster, der Einsatz so hoch und die mutmaßlichen Täter waren dermaßen gut platziert, dass ein hohes Maß an Geheimhaltung erforderlich war.
Was aber steckte hinter dem Satz, sie würden überwacht? Bedeutete er, dass sein berufliches Handy tatsächlich abgehört wurde? Longstreet fand das schwer zu glauben. Das FBI verfügte über die modernsten Verschlüsselungsverfahren, den besten Schutz. Dieser verdammte Pendergast und sein absichtsvoll unerforschliches Gebaren. Longstreet merkte jedoch auch, dass seine Neugierde geweckt war. Was hatte der Agent da wohl aufgedeckt? Und … was war das für ein Ort, dieser »Old King’s Park«?
Er streckte den Arm nach seinem Laptop aus, schaltete es ein, rief den sicheren Tor-Browser auf und verschaffte sich Zugang ins Darknet. Das war, wie er durchaus wusste, eine höchst irreguläre Vorgehensweise für einen ranghohen Angehörigen des FBI, doch wenn seine E-Mails, sein Telefon und seine SMS gefährdet waren, so wie Pendergast angedeutet hatte, dann galt das auch für seine Surfgewohnheiten. Zumindest konnte er jetzt recherchieren, ohne dass sich das zurückverfolgen ließ.
Es dauerte nur einige Minuten, dann hatte er herausgefunden, dass es sich beim King’s Park um ein großes, weitläufiges psychiatrisches Krankenhaus handelte, das im späten 19. Jahrhundert erbaut worden war und mittlerweile leer stand. Er lud einen Übersichtsplan des Klinikgeländes herunter und machte sich rasch damit vertraut. Bei Gebäude 44 handelte es sich um ein kleines Lagerhaus, das ursprünglich zur Aufbewahrung der Essensvorräte der Klinik diente.
Longstreet prägte sich die Karte ein und schloss den Browser, dann schaltete er den Rechner schnell aus. Warum das King’s Park Psychiatric Center? Doch je länger er nachdachte, desto klarer wurde ihm, dass es sich deshalb um einen idealen Ort für ein Treffen außerhalb der Stadtgrenze von New York handelte, weil dort die Wirksamkeit einer schmutzigen NYPD-Überwachung zwar eingeschränkt, die Klinik aber auch abgelegen und zugleich leicht erreichbar war. Und das Gebäude 44 war zweifellos ausgewählt worden, weil es von der Old Dock Road, die mitten durch das Klinikgelände verlief, mühelos anzusteuern war.