»Ich … ich …«, stammelte Harriman. Er war derart erschrocken, dass es ihm die Sprache verschlug.
»Bryce, es handelt sich dabei doch bestimmt um irgendeine Art Versehen. Stimmt’s? Ich meine, du hast Shannon doch geliebt … Aber das steht hier, schwarz auf weiß. Auch alle anderen Mitglieder des Stiftungsbeirats haben Kopien bekommen. Diese Dokumente – o Gott, hier kommen noch mehr davon –, legen nahe, dass du das Bankkonto der Stiftung unmittelbar vor den Ferien leer geräumt hast. Das ist doch sicher eine Fälschung, oder? Oder vielleicht ein schlechter Neujahrsscherz? Bitte, Bryce, sag doch etwas. Ich habe Angst …«
Es klickte. Harriman merkte, dass er unabsichtlich seine Finger gekrümmt und auf diese Weise das Gespräch beendet hatte.
Kurz darauf klingelte es wieder. Nachdem er auf die Mailbox umgeschaltet hatte, klingelte es erneut. Und abermals.
Und dann hörte Harriman ein leises Zirpen: die Meldung, dass eine SMS eingegangen war. Mit langsamen, seltsamen Bewegungen, so wie in einem schlechten Traum, blickte er auf das Display seines Smartphones.
Der Text stammte von Anton Ozmian.
Beinahe wider Willen öffnete Harriman das Nachrichtenfenster, und sofort erschien Ozmians Text.
Sie Idiot. Stolze Säule der vierten Gewalt, in der Tat. Vor lauter selbstgefälliger Genugtuung, diese Geschichte aufgedeckt zu haben, haben Sie vergessen, sich die relevanteste Frage von allen zu stellen:
PS: Viel Spaß im Gefängnis.
Noch während Harriman zunehmend entsetzt den Text las, verschwammen die Zeilen vor seinen Augen und wurden schwächer. Eine Sekunde später waren sie verschwunden, ersetzt durch ein schwarzes Display. Hektisch versuchte er, einen Screenshot zu machen, doch es war zu spät – Ozmians SMS war ebenso schnell verschwunden, wie sie eingegangen war.
Ungläubig und panisch aufstöhnend, blickte Harriman von seinem Handy auf. Das war ein Albtraum, musste es sein. Und tatsächlich – genau so, wie es in einem Albtraum geschieht – sah er, ungefähr einen halben Block weiter unten an der West Street, zwei NYPD-Polizeibeamte, die in seine Richtung blickten. Einer zeigte auf ihn. Und dann – während er wie angewurzelt dastand, unfähig sich zu bewegen – kamen sie in seine Richtung gerannt und lösten dabei die Verschlüsse an ihren Holstern.
46
Mit Pendergast als stummem Begleiter stand Longstreet vor der Tür zur Garage von Robert Hightowers Reihenhaus an der Gerritsen Avenue in Marine Park, Brooklyn. Die Tür stand offen, sodass der eisige Wind hineinblies. Auf der kurzen Garagenauffahrt lag eine dünne Schicht Schnee, der in der vorigen Nacht gefallen war. Doch Hightower schien das nicht zu stören. Der Raum war voll mit ramponierten Werkbänken, Personalcomputern verschiedenen Alters, Leiterplatten, aus denen unzählige Drähte ragten, alten Fernsehgeräten ohne ihre Glasröhren, abgenutzten, an Stecktafeln hängenden Werkzeugen, Bandsägen und Crimpzangen und Tisch-Schraubstöcken, etlichen Lötkolben, einem halben Dutzend Aufbewahrungskästen für Kleinteile, die meisten Schubfächer offen, voll mit Schrauben und Nägeln und Kaltleiter-Bauteilen. Hightower werkelte an einer Arbeitsbank. Er war Ende fünfzig, stämmig und hatte kurzes, aber dichtes eisengraues Haar.
Er griff nach einer Dose Lötpaste, drückte einen Deckel drauf und warf die Dose auf die hintere Seite einer der Tische. »Ozmian behauptet also, dass ich von allen Menschen, die er betrogen, zerstört, ruiniert und auf andere Weise beschissen hat, derjenige bin, der ihn am meisten hasst.«
»Das ist korrekt«, sagte Longstreet.
Hightower stieß ein sarkastisches, freudloses Lachen aus. »Was für eine Auszeichnung.«