»Das ist William Cinergy«, erklärte Hightower gegenüber Longstreet und Pendergast. »NYPD, sechsunddreißigster Bezirk. Mein Nachbar.«
Longstreet nickte.
»Ich bin in einer Familie von Polizisten aufgewachsen«, sagte Hightower. »Und hier im Viertel wohnen viele Polizisten. Wir Angehörigen der blauen Bruderschaft wohnen gern nahe beieinander.«
Es entstand eine kurze Stille.
»Jetzt, wo ich darüber nachdenke«, sagte Hightower, wobei er noch immer das enervierende Zerrbild eines Lächelns aufsetzte, »in der Nacht, als Ozmians Tochter umgebracht wurde, haben Bill und ich zusammen in einer Bar etwas getrunken. Das haben wir doch, Bill?«
»Das ist korrekt«, sagte Bill.
»Wir waren im
Bill nickte.
»Die sich alle daran erinnern würden, dass ich ihnen eine Runde spendiert habe, sagen wir, so gegen zweiundzwanzig Uhr?«
»Absolut.«
»Da haben Sie’s.« Hightower rutschte von seinem Hocker; sein Gesicht war wieder eine ausdruckslose Maske. »Und nun, wenn das alles ist, meine Herren, Bill und ich wollen uns noch ein Footballspiel ansehen.«
Sie saßen in Longstreets Limousine, die mit laufendem Motor am Bordstein in der Gerritsen Avenue stand, und schauten auf das kleine Reihenhaus.
»Also«, sagte Longstreet, »was hältst du von der Art, wie uns der Typ sein fadenscheiniges Alibi förmlich vor die Füße geworfen hat?«
»Ob das Alibi der Wahrheit entspricht oder nicht, ich bezweifle, dass wir eine Chance haben, es zu knacken.«
»Was ist mit deinem Polizistenfreund – D’Agosta? Vielleicht kann er ja die Phalanx der Blauuniformierten durchbrechen.«
»Du weißt, dass ich ihn niemals darum bitten würde. Und es gibt da noch eine andere Überlegung.«
Longstreet schaute ihn an.
»Hightower hatte ein Motiv, aber es erklärt nicht die folgenden Morde.«
»Daran habe ich auch schon gedacht«, sagte Longstreet. Er blickte weiter zum Haus und zu der Rauchfahne, die aus dem Schornstein wehte. »Vielleicht hat er ja Geschmack daran gefunden. Ich habe schon häufiger erlebt, dass Cops das Gesetz in die eigene Hand nehmen, wenn die Gerichte das nicht für sie erledigen. Aber eins steht fest – es lohnt, die Sache weiterzuverfolgen.«
»Es gilt, umsichtig vorzugehen«, sagte Pendergast. »Wir müssen diese Spur vorerst geheim halten – gegenüber dem NYPD
»Du hast recht, natürlich. Wir arbeiten einzeln an der Sache, minimieren unsere Kommunikation, halten Kontakt nur per Telefon oder verschlüsselter E-Mail.« Longstreet verstummte einen Moment lang. Die Rollläden vor dem Panoramafenster des, wie er annahm, Wohnzimmers wurden heruntergelassen. »Dieser Blick, mit dem er uns angesehen hat, als er uns sein Alibi nannte. Er kam mir beinahe wie eine Herausforderung vor.«
Pendergast schauderte es ein wenig. »Herausforderung. Ja, natürlich.«
Longstreet runzelte die Stirn. »Wovon redest du?«
Doch Pendergast sagte kein Wort mehr, weshalb Longstreet nach einem Augenblick die Automatik auf Drive schaltete und den Wagen vom Bordstein lenkte.
47
Marsden Swope saß am einzigen Schreibtisch in seiner winzigen Wohnung. Es war sechs Uhr morgens am 3. Januar.
Doch er machte sich da keine Illusionen. Das Ganze würde, das wusste er, klein beginnen – wenn man so viele Pilger denn »klein« nennen konnte. Doch er besaß ein Instrument, das die Propheten vor ihm nicht besessen hatten: das Internet. Außerdem hatte er seine Anhänger angewiesen, eine Sache nicht wegzuwerfen: ihre Mobiltelefone. Denn diese waren aus zweierlei Gründen von entscheidender Bedeutung. Zum einen erlaubten sie ihm, die Logistik zum Errichten des Scheiterhaufens zu organisieren, und zum anderen würden sie diesen dokumentieren.
Was als einzelner Akt der Läuterung in Manhattan seinen Anfang nehmen würde, würde sich ausbreiten: zu den großen und kleinen Städten, von Amerika nach Europa und darüber hinaus. Die Welt, mehr denn je geteilt in Arm und Reich, hungerte nach dieser Botschaft. Die Menschen würden sich erheben und sich zusammenschließen, um ihr Leben von der Habgier, dem Materialismus und der schändlichen Spaltung der Gesellschaft zu befreien, die durch Geld entstand, und dem Reichtum abschwören – um ein Leben der Einfachheit, der Reinheit und der ehrenvollen Armut zu führen.
Doch er durfte nicht zu weit ausgreifen. Er hatte den Weg geebnet, die Dinge in Gang gesetzt, aber jetzt war seine nächste Tat entscheidend. Seine Anhänger warteten, das wusste er, auf sein Signal. Die Kunst bestand darin, sie dazu zu bewegen, sich im genau richtigen Augenblick auf dem Great Lawn zu versammeln, ohne dass die Behörden alarmiert wurden.
Er drehte sich wieder zum Schreibtisch um und verfasste einen Tweet für seine Basis: kurz, instruktiv und auf den Punkt.