Von diesem Punkt an wurde es schwerer, der Fährte zu folgen, es erforderte häufige Pausen, wenn sie sich mit den Spuren früherer Urbexer kreuzte. Ozmian ging weiter den Gang entlang, in mehrere Räume hinein und hinaus. Mit diesem Ablenkungsmanöver verschaffte sich Pendergast Zeit, verlangsamte die Pirsch. Er plante eine Art Falle oder einen Hinterhalt – einen, den zu stellen Zeit kosten würde.
Die Fährte führte insgesamt in westlicher Richtung, zum Gebäudeflügel D, wobei sich Ozmian fragte, ob Pendergast wohl auf diesen zusteuerte. Das wäre eine eher unerwartete Maßnahme.
Nachdem Ozmian erneut mehrere Minuten lang die Fährte gelesen hatte, gelangte er tatsächlich in den Bereich, der gebrannt hatte. An diesem Punkt, wo die Spur in die Trümmer und den Schutt führte, inspizierte er diese eingehend mit seiner Taschenlampe. Es könnte sich hier um ein Ablenkungsmanöver handeln, den Versuch, ihn in diesen gefahrvollen Bereich zu locken, doch ein genauerer Blick enthüllte, dass Pendergast tatsächlich den instabilen Gebäudeflügel betreten hatte. Es gab keine Möglichkeit, das vorzutäuschen. Er war dort drin – irgendwo.
Und als er jetzt in das verbrannte Gebäudeinnere spähte, war Ozmian verblüfft. Bei jedem winterlichen Windstoß hörte er den gesamten Gebäudeflügel förmlich ächzen und knarren. Fast hatte es den Anschein, als bewegten sich die Wände, und wegen der unablässigen Geräusche hatte er das Gefühl, sich im Bauch einer großen Bestie zu befinden. Die Wände waren brüchig, und die Böden hatten gebrannt, sodass große Spalten und quer liegende, herabgestürzte Balken übrig geblieben waren. Es war ein heißer Brand gewesen, so heiß, dass Ozmian Glas- und Aluminiumlachen auf dem Boden und eine Betonwand sah, die in einigen Abschnitten brüchig geworden war und Risse aufwies. Es war wirklich verrückt, dass sich Pendergast an einen solchen Ort gewagt hatte – ein Anzeichen dafür, dass er eher verzweifelt als schlau war.
Wie auch immer, wenn sein Wild hier die Jagd fortsetzen wollte, dann wurde sie eben hier fortgesetzt.
Ozmian schaltete die Taschenlampe aus. Jetzt würde er bei Mondlicht und nach Gefühl weiter vordringen, sich mit großer Umsicht über die durchhängenden, klaffenden Fußböden vorarbeiten, zugleich höchst wachsam bleiben und seinem fast übernatürlichen Gespür für Gefahr vertrauen. Er war sich sicher, dass ihm Pendergast einen Hinterhalt gestellt hatte. Er glich jenem Löwen, der in dem Mopanebusch gelauert hatte, um seinen Peiniger zu attackieren.
Ozmian kam an einem kleinen Haufen Betonschutt vorbei und gelangte in einen riesigen offenen Raum, der einst als Schlafsaal gedient zu haben schien. Von den Betten, die immer noch aufgereiht dastanden, waren nur noch rußgeschwärzte eiserne Bettgestelle übrig. Die gegenüberliegende Wand war eingestürzt. Ein Badezimmer war zu sehen: aufgrund der Hitzeeinwirkung gesprungene Porzellanwaschbecken voller Risse, angesengte Urinale und offene Duschkabinen, viele der Armaturen verzogen und geschmolzen.
Pendergasts Fährte folgte Ozmian zum Haupttreppenhaus des Gebäudeflügels D. Dieser bot ein Bild völliger Zerstörung. Ozmian fasste es kaum, dass der Gebäudeteil überhaupt noch stand. Natürlich war das Jagdwild auf der Suche nach dem gefährlichsten Areal die Treppe hinaufgestiegen. Während Ozmian sich mit äußerster Vorsicht und in absoluter Stille vorantastete und jeden Moment mit einem Hinterhalt rechnete, stieg er nach Gefühl die laute und schiefe Treppe hinauf. Auf dem Treppenabsatz im ersten Geschoss führte die Spur in einen weiteren zerstörten Flur, ein veritables Labyrinth verkohlter und verbogener Balken. Auf ganzer Länge lag ein Feuerwehrschlauch, offenbar zurückgelassen von den Feuerwehrleuten, die die Flammen gelöscht hatten. Das Ende war noch immer an eine Steigleitung geschraubt. Ozmian hielt inne. In der Nähe des Schlauchs hatte irgendetwas auf dem Boden gelegen, und die frischen Fußabdrücke in all dem Ruß und Staub deuteten darauf hin, dass Pendergast es aufgehoben hatte. Was konnte das gewesen sein?
Ozmians Jagdsinne erwachten. In seinem früheren Leben als Spurenleser und Jäger bedeutete ein derartiges Gefühl, dass das Wild sich in der Nähe befand; dass es beschlossen hatte, sich umzudrehen und ihm gegenüberzutreten; und dass die Attacke unmittelbar bevorstand. Angespannt hielt er inne. Ein besonders heftiger Windstoß verursachte eine Vielzahl knarrender Laute, und plötzlich hatte Ozmian das Gefühl, als würde im nächsten Augenblick das gesamte Gebäude einstürzen. Wann war der Brand gewesen? Erst im vergangenen Jahr, erinnerte er sich. Seitdem hielt das Gebäude stand. Er sollte sich deshalb keine übermäßigen Sorgen machen, dass es gerade jetzt einstürzte. Es sei denn, man half ein bisschen nach …