In einer Ecke in einem der hinteren Räume des
Longstreet akzeptierte den kleinen Schluck des recht jungen Premier Cru, den der Sommelier ihm anbot, schwenkte den Wein im Glas, inspizierte seine Farbe und seinen »Körper«, nippte daran und schmeckte ihn im Mund. Er nahm einen zweiten, kritischeren Schluck. Schließlich stellte er das Glas zurück und nickte dem Sommelier zu, der losging, um die Flasche zu dekantieren. Nachdem der Sommelier zurückgekehrt war, um ihre Gläser zu füllen, trat ihr Kellner an den Tisch. Longstreet bestellte sautiertes Kalbsbries in einer Calvados-Sauce, Pendergast orderte die
Longstreet nickte zustimmend. »Ausgezeichnete Wahl.«
»Ich kann Trüffeln nie widerstehen. Eine teure Angewohnheit, aber eine, die ich, wie ich feststelle, nur schwer ablegen kann.«
Longstreet nahm einen größeren, nachdenklicheren Schluck vom Bordeaux. »Diese Morde erzeugen einen ungeheuren Aufruhr – in allen Schichten der Bevölkerung. Bei den Reichen, weil sie sich als Zielscheibe sehen, und beim Rest wegen des Nervenkitzels, mitzuerleben, wie es den Ultrareichen mal richtig gezeigt wird.«
»In der Tat.«
»Ich würde dieser Tage nicht dein Freund D’Agosta sein wollen. Dem NYPD wird die Hölle heißgemacht. Und wir sind ebenfalls blamiert.«
»Du beziehst dich auf das Verhaltensprofil?«
»Ja. Besser gesagt, auf das Fehlen desselben.« Auf Ersuchen der New Yorker Polizei hatte Longstreet den Fall des Enthaupters der Abteilung für Verhaltenswissenschaften (BSU) des FBI in Quantico vorgelegt und um ein psychologisches Profil gebeten. Serienmörder, ganz gleich, wie bizarr, fielen in zwei Kategorien, und die BSU hatte eine Datenbank von jedem bekannten Typus in der Welt entwickelt. Wenn ein noch unbekannter Mörder auftauchte, waren die Verhaltenswissenschaftler in der Lage, diesen in eines der bestehenden Schemata einzupassen und ein psychologisches Profil zu erstellen – seine Motive, Methoden, Verhaltensmuster, Arbeitsgewohnheiten, selbst solche Dinge wie den sozioökonomischen Hintergrund und ob er ein Auto besaß oder nicht. Diesmal hatten die Profiler den Enthaupter in keine der Kategorien einordnen können; der Mörder passte in kein bekanntes Schema. Statt eines Profils hatte Longstreet einen langen, zurückhaltend formulierten Bericht erhalten, der auf eine Tatsache hinauslief: Für diesen Mordfall waren die Datenbanken in Quantico nutzlos.
Longstreet seufzte. »Du bist der Experte, was Serienmörder angeht«, sagte er. »Was hältst du von dem hier? Ist er so einzigartig, wie die Profiler von der BSU behaupten?«
Pendergast neigte den Kopf. »Ich bemühe mich noch immer, das Ganze zu verstehen. Und ehrlich gesagt bin ich mir nicht sicher, dass wir es hier mit einem Serienmörder zu tun haben.«
»Wieso das? Er hat vierzehn Menschen ermordet. Oder dreizehn, wenn man den ersten Toten nicht mitzählt.«
Pendergast schüttelte den Kopf. »Alle Serienmörder weisen im Kern eine pathologische oder psychotische Motivation auf. In diesem Fall ist das Motiv womöglich … relativ normal.«
»Normal? Ein halbes Dutzend Menschen umzubringen und zu enthaupten? Hast du den Verstand verloren?« Fast hätte Longstreet laut aufgelacht. Das war klassischer Pendergast, er wollte erstaunen, erfreute sich daran, alle um ihn herum mit irgendeiner hanebüchenen Aussage zu verblüffen.
»Adeyemi zum Beispiel. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie keine Leichen im Keller hat, keine schmutzige Vergangenheit. Außerdem war sie nicht außergewöhnlich reich.«