Hempel 1742. § 30. S. 240–244
[S. 240] Es hatte bishero schon unser Herr Vice-Canzlar verschiedene Revolutiones
in Russland erlebet, bey welchen manniger zu kurz gekommen war. Von ihm aber schrieb man damals öffentlich; daß er das Geheimniß gelernet, sich, bey allen Ungewittern des Hofs, die so viele fürnehme Häuser niedergeschlagen, aufrecht zuerhalten. Man muste ihm auch allerdings zugestehen; daß er sehr glücklich war, große Dinge, und wichtige Unternehmungen, auszuführen.Anbey arbeitete er unermüdet, Tag, und Nacht, mit einem Eifer, der fast seines gleichen nicht hatte. Itzo nun, da der Gelegenheit genug, seine Kunst, und Geschickligkeit, fernerweit an den Tag zulegen, und die Sachen so zucharten; daß sie, nach seinem Wunsche, und Willen, gingen; er jedoch auch dabey seine Wohlfarth erhielte. Sobald demnach Kaiser, Peter der Andere, die Augen zugethan hatte: lies er, und der Gros-Canzlar, Galofkin, frühe um 5. Uhr, die Grosen des Reichs
zusammen kommen.Diesen trug er sodann seine Absicht auf die Herzogin von Curland Annen, für, welche Peters des Grosen Bruders, des Czaars, Iwans, Prinzessin-Tochter war. Er be-[S. 241] rufte sich anbey auf des letzt verstorbenen Kaysers Testament, und weinte; weil nunmehro die männliche Linie des bisherigen, Czaarischen Geschlechts ausgestorben sey: so stünde dem Reiche eine Wahl, unter den noch fürhandenen Prinzessinen, zu. Und da müsten doch wohl die Prinzessinen von dem ältern Bruder den Fürzug haben. Unter solchen nun wäre Niemand geschickter zu Uebernehmung der Throne, als die Herzogin von Curland; welche nemlich nicht nur noch jung, und ohnvermählt, sey; sondern man dürfte sich auch sonst, ihrentwegen, keine Besorgung übler Folgerungen machen; da sich hergegen bey ihrer ältern Schwester, der Herzogin von Mecklenburg, deren Gemahls halber, viele Schwierigkeiten ereigneten.
Dieser Fürtrag wurde demnach beliebet, und man schrieb damals durchgehends öffentlich, ja es wurde durch ein besonderes Manifest des Senats
, unterm 4. Feb. 1730. Jedermanne bekant gemacht; daß die Herzogin von Curland, Anna, von dem Senat, und der ganzen Nation, einmüthig, zur künftigen Kayserin, von Russland, gewählet worden sey. Man lies ihr auch, durch einen Fürsten, von Dolghorucky, die Regirung, obschon auf eine eingeschränckte Weise, antragen; welches sie inzwischen acceptierte; wiewohl hergegen, damals schon, beydes die Prinzessin, Elisabeth, und die Holsteinischen Ministri, über diese Wahl missvergnügt zuseyn schienen. Sobald aber dar-[S. 242] auf diese neue Kayserin, Anna, den 26ten Febr. 1730. in Moscau ankam: war ihr unser Herr von Ostermann für andern auch mit behülflich; saß Sie die Souverainetät wiederum erlangte.Alsdann entdeckte er ihr verschiedene Intrigven groser Herren, die bishero, sowohl zu ihrem, als auch des ganzen Reichs Nachteil, wären gespielet worden. Insonderheit sagte er nun öffentlich; daß das Haus, Dolghorucky, für die Kayserin, und das Reich
, höchst gefährlich sey; und daß sie keine Zeit zuversäumen hätte, selbiges für Gericht, und zur Rechenschafft seiner bösen Anschläge, und gewaltigen Verbrechen, zuziehen: weil es klar am Tage liege; daß sie an der Regirung mit Theil nehmen wollen, und sich des Lasters der beleidigten Majestät schuldig gemacht; folglich deshalber nach den Gesetzen des Reichs, bestrafet werden müsten; und es müsse die Allerdurchlauchtigste Kayserin eine Selbsthalterin aller Reussen seyn, u. s. w.Diese Fürstellugen zogen den Dolghoruckys eine schwere Inquisition über den Hals; dabey sich denn unser Herr von Ostermann sehr geschäftig bezeigte. Kurz; er brachte es in weniger Zeit so weit; daß dieselben, noch vor der Crönung der Kayserin, durch eine Verweisung, und zuerkante, ewige Gefangenschafft, vom Hofe entfernet wurden; und er sich also abermals einen Rival vom Leib geschafft; als davon man, in dem Leben des gewesenen Herzogs von Curland, ausführlicher nach-[S. 243]lesen kan. Hierdurch setzte er sich gleichwohl alsobald, bey der neuen Kayserin, Annen, in ein ganz besonderes Vertrauen; und diese veränderte Regierung
brachte ihm mehr Glück, als Nachteil, zu Wege.Hochgedachte Kayserin machte demnach die Verordnung; daß ihr alle, beym Senat
, aufs Tapet, gebrachte, und die Wohlfarth des Reichs betreffende, Angelegenheiten von diesem ihrem Reichs-Vice-Canzlar, von Ostermann, fürgetragen werden musten. Wenn sie alsdenn ihre Meinung darüber zuerkennen gegeben: wurden die Sachen, in den Canzleyen, ins Reine gebracht, ferner der Versammlung des Senats in ihrer Gegenwart, fürgelesen, und darauf von derselben zuerst, hiernächst aber, wenn sie einheimische Reichs-Sachen betraf, von dem Gross-Canzlar, und wenn sie Instructiones, oder Befehle, und die Ministros, bey fremden Höfen, anbelangten, durch unseren Herrn von Ostermann, unterzeichnet.Und eben mit diesen beyden Herren, nemlich dem Gros-Canzler, Gallofkin, und dem Baron von Ostermann, wie auch den beyden Feld-Marschällen, Fürsten, Galliczin, und dem Trubetzkoy, als würcklich von ihr ernanten, Geheimden Staats-Ministern
, wurden damals, mit Zuziehung ihres Favoritens, des Grafens von Biron, nachherigen Herzogs in Curland, fast alle Angelegenheiten abgehandelt.Auf Anrathen des Ostermanns, machte sie nächstdem auch, noch [S. 244] vor ihrer Crönung, den 4. Mertz, 1730. den hohen Geheimden Rath
, und den hohen Senat, widerum zu Einem Collegio, welches nun der regierende Senat genennet wurde, und aus 21. Personen bestunde, darunter unser Herr von Ostermann einer der fürnehmsten mit war. Ich geschweige übrigens abermals der vielen guten Anstalten, die, sowohl in Religions- als Justitz- und Staats-Sachen, bey Antritt dieser neuen Regierung, auf Antrieb des Herrn Ostermanns, getroffen worden.