Mit den letzten Worten erhob sich Kurt; Herta und Nadja folgten ihm. Sie nahmen ein Auto und fuhren in Richtung Südwest, zu den Leninbergen, wo sie zwei Ziele hatten: den Mosfilm und eine wissenschaftliche Sitzung in der Universität. Über den Besuch des Filmstudios berichtet ein Brief Hertas an ihre Mutter.
«Liebste Mutti!
Heute besuchten wir u. a. 4 den Mosfilm, das größte Filmstudio Europas, eine Filmfabrik mit ausgezeichneter Organisation und modernster Technik. Hier haben wir Heinz Thill getroffen, einen deutschen Filmregisseur, den ich gut kenne. Er machte uns mit dem russischen Filmregisseur Lew Arnstam bekannt. Sie haben zusammen den Film «Fünf Tage — fünf Nächte» gedreht 5.
1 «Der erste Schuß» — под таким названием в ГДР шёл наш фильм «Сорок первый»
2 jemandes ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen — завладеть полностью чьим-либо вниманием; захватить кого-либо полностью
3 zu Gast sein (weilen) — быть в гостях
4 u. a. = unter anderem — между прочим
5 einen Film drehen — снимать фильм
Er handelt von der Rettung der Dresdner Kunstschätze durch die Sowjetarmee. Ich hörte von Thill viel über kollektive Zusammenarbeit und bin jetzt dafür Feuer und Flamme. Das ist eine Form des gemeinsamen künstlerischen Schaffens, die in Zukunft immer mehr Bedeutung gewinnen 1 wird, dafür kann ich die Hand ins Feuer legen 2.
Am Abend waren wir mit Thill im Filmklub. Wir sahen geschmackvoll eingerichtete Räume und ein Großkino mit etwa tausend Plätzen, das jeden Abend überfüllt ist. Hier stellen die Filmleute der ganzen Welt ihre Produktion zur Diskussion 3. Hier sind immer Autoren, Regisseure, Schauspieler und Kameraleute von Format 4. Es werden Vorträge über Probleme der Filmkunst gehalten, dabei wird heiß diskutiert. Wir machten interessante Bekanntschaften 5 und blieben bis Mitternacht.
Morgen Neues.
4. Episode: DIE GESCHICHTE VON DER KÜNSTLICHEN HAND
Zwei Stunden verbrachten unsere Freunde im Mosfilm. Kurt nahm die Fassaden einiger Studios und einzelne Momente aus den Proben zu neuen Filmen auf.
Vom Mosfilm ist es nicht weit zur Universität, wo sich die nächste Episode abspielte. Darüber erfahren wir Näheres aus dem Tagebuch Nadjas:
«Moskauer Universität. Sitzungssaal. Tagung des 1. Weltkongresses für Automatik. Sehr wichtig für Industrie und Landwirtschaft! Anwesend waren etwa anderthalb tausend Fachleute aus dreißig Ländern.
Als wir kamen, war gerade Pause. Überall standen Menschengruppen. Wir konnten kaum durchkommen. Man hörte verschiedene Sprachen, auch Deutsch. Das verstehe ich natürlich etwas.
1 Bedeutung gewinnen — приобретать значение
2 die Hand ins Feuer legen (für jemanden, etwas) — давать голову на отсечение (за кого-либо, что-либо); быть твёрдо уверенным в чём-либо
3 zur Diskussion stellen — поставить на обсуждение
4 von Format —
5 Bekanntschaft machen (schließen) — познакомиться
Jetzt klingelt es. Die Pause ist zu Ende. Die Konferenz nimmt ihren Fortgang 1. Kurt filmt. Ich stehe ganz vorn. Da sehe ich — eine Hand! Sie hält ein Stück Kreide und schreibt etwas an die Tafel. Ich schaue mich um: im Saal herrscht gespanntes Schweigen. Dann plötzlich — ein Beifallssturm! Rufe: «Bravo!» Viele springen auf. Was ist los? Zuerst verstehe ich nichts. Aber dann erklärt mir Herta: Es war eine künstliche Hand, die da geschrieben hat. Automatisch! Das war die Erfindung eines sowjetischen Professors. Fabelhaft! Ich erfuhr, daß im Jahre 1936 zum erstenmal in der Welt in Moskau eine wissenschaftliche Zeitschrift für Automatik erschienen ist. Sie hieß ,Automatisierung und Telemechanik‘. 1939 gründete die Akademie der Wissenschaften der UdSSR ein Forschungsinstitut, das sich mit diesen Problemen beschäftigt. Es wurde schon Großes auf diesem Gebiete erreicht. Das, was wir heute sahen, ist im Vergleich damit 2 nur eine Kleinigkeit, aber eine interessante Kleinigkeit.»
5. Episode: DAS IST NICHT VON PAPPE! 3
«Ich möchte unseren Kinobesuchern einen Kulturpalast zeigen», sagte Herta zu Nadja, als sie die Universität verließen. «Bitte sehr», meinte Nadja. «Fahren wir zum Lichatschow-Autowerk. Dort ist ein schöner Kulturpalast, wo Theatervorstellungen, Filmvorführungen und interessante Vorträge stattfinden. Das paßt ja gerade zum heutigen Thema.»
Herta und Kurt waren einverstanden. Sie nahmen ein Auto und fuhren zu einem der schönsten Kulturpaläste Moskaus. Kurt filmte ihn von außen und innen.
H e r t a: Ja, das ist nicht von Pappe!
N a d j a