»Gut, Narziss, so werden wir also dieses wenig ehrbare Obdach verlassen, und ich werde mich deinem Gefolge anschließen. Reisest du nach Mariabronn zurück? Ja? Sehr schön. Und wie? Zu Pferde? Ausgezeichnet. Es wird sich also darum handeln, auch für mich ein Pferd zu bekommen.«
»Wir werden es bekommen, amice, und werden schon in zwei Stunden reisen. Oh, aber wie sehen deine Hände aus!
Um Gottes willen, alles zerschunden und verschwollen und voller Blut! O Goldmund, wie ist man mit dir umgegangen!«
»Lass gut sein, Narziss Ich habe mir selbst die Hände so zugerichtet. Ich war ja gebunden und musste mich befreien. Ich sage dir, es ging nicht leicht. Übrigens war es recht mutig von dir, dass du so ohne Geleit zu mir hereingekommen bist.«
»Warum mutig? Es war ja keine Gefahr.«
»Oh, es war nur die kleine Gefahr, von mir erschlagen zu werden. Nämlich so hatte ich mir die Sache ausgedacht. Es war mir gesagt worden, dass ein Priester komme. Den hätte ich dann umgebracht und wäre in seinen Kleidern geflohen. Ein guter Plan.«
»Du wolltest also nicht sterben? Du wolltest dich dagegen wehren?«
»Gewiss wollte ich das. Dass gerade du der Priester sein würdest, nun, das konnte ich ja freilich nicht ahnen.«
»Immerhin«, sagte Narziss zögernd, »es war eigentlich ein recht hässlicher Plan. Hattest du wohl wirklich einen Priester, der als Beichtvater zu dir kam, totschlagen können?«
»Dich nicht, Narziss, natürlich nicht, und vielleicht auch keinen von deinen Patres, wenn er die Mariabronner Kutte trug. Aber einen beliebigen anderen Priester, o ja, verlass dich drauf.«
Plötzlich wurde seine Stimme traurig und dunkel.
»Es wäre nicht der erste Mensch gewesen, den ich umgebracht hätte.«
Sie schwiegen. Es war beiden peinlich zumute.
»Also über diese Sachen«, sagte Narziss mit kühler Stimme, »sprechen wir ja später. Du kannst mir einmal beichten, wenn du magst. Oder du kannst mir sonst von deinem Leben erzählen. Auch ich habe dir dies und das zu erzählen Ich freue mich darauf – Wollen wir gehen?«
»Noch einen Augenblick, Narziss! Etwas ist mir eingefallen, nämlich, dass ich dich doch schon einmal Johannes genannt habe.«
»Ich verstehe dich nicht.«
»Nein, natürlich nicht. Du weißt ja noch nichts. Es ist schon vor manchen Jahren gewesen, da habe ich dir einmal den Namen Johannes gegeben, und er wird dir für immer bleiben. Ich bin nämlich früher ein Bildhauer und Figurenschnitzer gewesen, und ich denke es wieder zu werden. Und die beste Figur, die ich damals gemacht habe, ein Jüngling aus Holz, in natürlicher Größe, die ist dein Bildnis, aber sie heißt nicht Narziss, sondern Johannes. Es ist ein Jünger Johannes unter dem Kreuz.«
Er stand auf und ging gegen die Tür.
»Du hast also noch an mich gedacht?« fragte Narziss leise.
Ebenso leise gab Goldmund Antwort »O ja, Narziss, ich habe an dich gedacht Immer, immer.«
Heftig stieß er das schwere Tor auf, der fahle Morgen blickte herein. Sie sprachen nichts mehr. Narziss nahm ihn mit sich in sein Gastzimmer. Ein junger Mönch, sein Begleiter, war dort damit beschäftigt, das Reisegepäck fertigzumachen. Goldmund bekam zu essen, seine Hände wurden gewaschen und etwas verbunden. Bald schon wurden die Pferde vorgeführt.
Als sie aufstiegen, sagte Goldmund: »Ich habe noch eine Bitte: Lass uns den Weg über den Fischmarkt nehmen, ich habe dort noch etwas zu besorgen.«
Sie ritten ab, und Goldmund blickte zu allen Fenstern des Schlosses hinan, ob vielleicht Agnes in einem zu sehen sei. Er bekam sie nicht mehr zu sehen. Sie ritten über den Fischmarkt, Marie war sehr in Sorge um ihn gewesen. Er nahm von ihr und ihren Eltern Abschied, dankte ihnen tausendmal, versprach, einmal wiederzukommen, und ritt weg. Unter der Haustür blieb Marie stehen, bis die Reiter verschwunden waren. Langsam hinkte sie in Haus zurück.
Sie ritten zu vieren: Narziss, Goldmund, der junge Mönch und ein bewaffneter Reitknecht.
»Kannst du dich noch an mein Rösschen Bless erinnern«, fragte Goldmund, »das in eurem Klosterstall stand?«
»Gewiss. Das findest du nicht mehr und hast es wohl auch nicht erwartet. Es ist wohl sieben oder acht Jahre her, seit wir es abtun mussten.«
»Dass du dich dessen erinnerst!«
»O ja, ich erinnere mich.«
Goldmund war nicht traurig über Blessleins Tod. Er war froh darüber, dass Narziss so gut um Bless Bescheid wusste, er, der sich nie um Tiere gekümmert und sicher niemals ein anderes Klosterpferd beim Namen gekannt hatte. Sehr froh war er darüber.