»Narziss«, warnte er, »ich fürchte, du weißt nicht, wen du da eigentlich mit in dein Kloster bringst. Ich bin kein Mönch und will auch keiner werden. Ich kenne ja die drei großen Gelübde, und mit der Armut bin ich gern einverstanden, aber ich liebe weder die Keuschheit noch den Gehorsam, diese Tugenden scheinen mir auch nicht so recht männlich zu sein. Und von Frömmigkeit ist bei mir gar nichts mehr übriggeblieben, ich habe seit Jahren nicht gebeichtet noch gebetet noch kommuniziert[112]
.«Narziss blieb gelassen: »Du scheinst ein Heide geworden zu sein. Aber davor haben wir keine Angst. Auf deine vielen Sünden brauchst du nicht weiter stolz zu sein. Du hast das übliche Weltleben geführt, du hast wie der verlorene Sohn die Säue gehütet, du weißt nicht mehr, was Gesetz und Ordnung ist. Gewiss, würde ein sehr schlechter Mönch aus dir werden. Aber ich lade dich ja gar nicht dazu ein, in den Orden zu treten, ich lade dich bloß ein, unser Gast zu sein und dir bei uns eine Werkstatt einzurichten. Und noch eines vergiss nicht, dass damals in unsern Jünglingsjahren ich es gewesen bin, der dich aufgeweckt hat und ins Weltleben hinaus hat ziehen lassen. Es mag aus dir Gutes oder Schlechtes geworden sein, nächst dir selbst trage dafür ich die Verantwortung. Ich will sehen, was aus dir geworden ist, du wirst es mir zeigen, in Worten, im Leben, in deinen Werken. Wenn du es gezeigt haben wirst und wenn ich dann etwa finden sollte, dass unser Haus keine Stätte für dich ist, so werde ich der erste sein, der dich bitten wird, es wieder zu verlassen.«
Goldmund war jedesmal voll Bewunderung, wenn sein Freund so sprach, wenn er als Abt auftrat, mit der stillen Sicherheit und diesem Anflug von Spott für Weltleute und Weltleben, denn dann wurde ihm sichtbar, was aus Narziss geworden war: ein Mann. Ein Mann des Geistes zwar und der Kirche, mit zarten Händen und einem Gelehrtengesicht, aber ein Mann voll Sicherheit und Mut, ein Führer, einer, der Verantwortung trug. Dieser Mann Narziss war nicht mehr der Jüngling von damals und nicht mehr der sanfte innige Jünger Johannes, und diesen neuen Narziss, diesen männlichen und ritterlichen, wollte er mit seinen Händen abbilden. Viele Figuren warteten auf ihn. Narziss, der Abt Daniel, der Pater Anselm, der Meister Niklaus, die schöne Rebekka, die schöne Agnes und noch so manche andere, Freunde und Feinde, Lebende und Tote. Nein, er wollte kein Ordensbruder werden, weder ein frommer noch ein gelehrter, er wollte Werke schaffen, und dass seine einstige Jugendheimat die Heimat dieser Werke sein würde, machte ihn glücklich.