Da es aber nun einmal keinen Whisky gab, konnte Roger Lillywhite auch keinen Fehler vorwerfen – natürlich war es illegal, mit Schmuggelware zu handeln, doch derartige Geschäfte waren an der Küste so häufig, dass das bloße Gerücht Lillywhites Ruf in seinem im Landesinneren gelegenen Distrikt kaum schaden konnte. Andererseits war Roger allein – zumindest dachte Lillywhite das.
Es gab eindeutig eine Verbindung zwischen Lillywhite und Stephen Bonnet – und wenn Roger und Jamie Fraser anfingen, Fragen zu stellen, war es sehr wahrscheinlich, dass diese Verbindung ans Licht kommen würde. Waren Lillywhites Machenschaften so gefährlich, dass er Roger umbringen würde, um ihn am Reden zu hindern? Er hatte das unangenehme Gefühl, dass es gut möglich war, dass Lillywhite und Anstruther zu genau diesem Schluss kamen.
Sie konnten ihn einfach in das Marschland führen, ihn umbringen und seine Leiche versenken, um dann zu ihren Begleitern zurückzukehren und zu verkünden, dass er nach Edenton zurückgekehrt war. Selbst wenn irgendjemand die Mitglieder von Lillywhites Bande aufspürte
Draußen erklang lautes Rumpeln und Scheppern, und allmählich wurde das Rufen leiser, als zuerst die Schuppen erneut durchsucht wurden und man die Suche dann auf das angrenzende Marschland ausdehnte.
Roger hielt es für sehr gut möglich, dass Lillywhite und Anstruther vorgehabt hatten, ihn und Jamie umzubringen, nachdem sie den Whisky an sich gebracht hatten. In diesem Fall hinderte sie noch weniger daran, jetzt dasselbe zu tun; sie waren ja sowieso darauf eingestellt. Was die Russen anging – würden sie ihnen etwas antun? Er hoffte es nicht, doch das war unmöglich einzuschätzen.
Auf dem Blechdach des Schuppens ertönte ein leises Prasseln; es begann zu regnen. Schön, wenn ihr Schießpulver nass wurde, würden sie ihn nicht erschießen; sie würden ihm die Kehle durchschneiden müssen. Seine Hoffnung, dass Jamie nicht zu früh auftauchte, verwandelte sich in die inbrünstige Hoffnung, dass er nicht zu spät auftauchte. Was er allerdings tun würde, falls und wenn er tatsächlich auftauchte …
Die Schwerter. Waren die Schwerter immer noch dort, wo sie sie liegen gelassen hatten, in der Ecke des Schuppens? Der Regen wurde jetzt so laut, dass er draußen sowieso nichts mehr hören konnte; er verließ seinen Lauschposten, um nachzusehen.
Die Russinnen blickten mit einer Mischung aus Argwohn und Sorge zu ihm auf. Er lächelte und nickte und schob sie mit kleinen Gesten aus dem Weg. Ja, die Schwerter waren noch da – das war immerhin etwas, und er spürte eine kleine Welle der Hoffnung.
Chemodurow war bei Bewusstsein; er sagte etwas mit lallender Stimme, und Karina stand auf und trat zu Roger. Sie tätschelte ihm sanft den Arm, dann nahm sie ihm eins der Schwerter ab. Sie zog es mit einem klirrenden Geräusch aus der Scheide, das alle Anwesenden zusammenfahren ließ, bevor sie nervös loslachten. Sie schlug ihre Hände um den Griff und legte das Schwert wie einen Baseballschläger über ihre Schulter. Sie marschierte zur Tür und bezog dort mit finsterer Miene Posten.
»Gut«, sagte Roger und grinste sie beifällig an. »Wenn jemand seinen Kopf hier hineinsteckt, schlag ihn ab, aye?« Er ahmte mit der Handkante eine Hackbewegung nach, und die Russen zollten ihm mit begeistertem Geheul Beifall. Eins der jüngeren Mädchen griff nach dem anderen Schwert, doch er bedeutete ihr lächelnd, dass er es behalten würde, trotzdem vielen Dank.
Zu seiner Überraschung schüttelte sie den Kopf und sagte etwas auf Russisch. Er zog die Augenbrauen hoch und schüttelte hilflos den Kopf. Sie zupfte an seinem Arm, bis er ihr in die Ecke folgte.
Sie waren während ihrer kurzen Gefangenschaft nicht untätig gewesen. Sie hatten das Gerümpel beiseitegeräumt, dem Verletzten ein bequemes Strohlager bereitet – und die große Falltür im Boden freigelegt, die es bei Ebbe ankommenden Booten ermöglichte, unter das Dock zu fahren, so dass ihre Fracht direkt in den Schuppen hinaufgereicht werden konnte und nicht auf dem Dock entladen werden musste.
Jetzt herrschte Ebbe; bis zur dunklen Oberfläche des Wassers war es ein Fall von über zwei Metern. Er zog sich bis auf die Hose aus und ließ sich an den Händen von der Kante der Falltür baumeln, bevor er sich mit den Füßen voran fallen ließ, da er keinen Kopfsprung in ein möglicherweise flaches Gewässer riskieren wollte.
Doch das Wasser reichte ihm bis über den Kopf; er versank in einem Regen aus Silberbläschen, dann berührten seine Füße den sandigen Boden, und er stieß sich ab und durchbrach laut die Wasseroberfläche. Er winkte dem Kreis der russischen Gesichter, die durch die Falltür zu ihm hinuntersahen, beruhigend zu, dann hielt er auf das andere Ende des Landestegs zu.