Das Kreischen hatte nicht nachgelassen. Aufgebracht und missgelaunt, aber nicht gequält. Keine Bauchschmerzen. Ein schlechter Traum? Ich wartete einen Moment und beobachtete die Gestalt, um zu sehen, ob er oder sie das Kind zum Haus bringen würde, auf der Suche nach mir, und streckte vorsichtshalber die Hand nach meinem zerknitterten Hemd aus. Nein – die hochgewachsene Gestalt war im Fichtenhain verschwunden; ich konnte hören, wie sich das Jammern entfernte. Also kein Fieber.
Ich stellte fest, dass sich meine Brüste als Reaktion auf das Geräusch angespannt und zu kribbeln begonnen hatten und lächelte ein wenig schmerzvoll. Seltsam, dieser Instinkt saß so tief und überdauerte so lange – ob ich wohl eines Tages an einen Punkt gelangen würde, an dem sich nichts mehr in mir regte, wenn ich ein Baby weinen hörte, einen erregten Mann roch, mein eigenes, langes Haar über die Haut meines nackten Rückens streichen fühlte? Und wenn ich je an einen solchen Punkt gelangte – würde ich um den Verlust trauern, fragte ich mich, oder es als friedvoll empfinden, über eine Existenz nachzusinnen, die von solchen animalischen Empfindungen ungestört blieb?
Die Freuden des Fleisches waren schließlich nicht das einzige Geschenk der Welt; ein Arzt bekommt auch die zahlreichen Leiden zu sehen, die dieses Fleisch befallen – und doch … während ich hier so kühl in der Spätsommerluft am Fenster stand, die Dielen glatt unter meinen nackten Füßen, die Berührung des Windes auf nackter Haut … brachte ich es nicht über mich, mir zu wünschen, ich wäre ein reiner Geist – noch nicht.
Das Weinen wurde lauter, und dazwischen hörte ich das leise Murmeln einer Erwachsenenstimme, die erfolglos versuchte, es zu lindern. Also war es Roger.
Ich umfasste meine Brüste und genoss ihr weiches, volles Gewicht. Ich konnte mich noch erinnern, wie sie gewesen waren, als ich noch sehr jung war; kleine, feste Rundungen, die so empfindsam waren, dass ich bei jeder Berührung eines Jungen weiche Knie bekam. Oder auch bei der Berührung meiner eigenen Hand. Jetzt waren sie verändert – und doch waren sie auf merkwürdige Weise dieselben geblieben.
Dies war nicht die Entdeckung von etwas Neuem, das ich mir noch nie ausgemalt hatte, sondern vielmehr nur ein neues Bewusstsein, mit dem ich etwas zur Kenntnis nahm, das sich hinter meinem Rücken erhoben hatte wie ein Schatten an der Wand, eine unvermutete Präsenz, die ich nur sah, wenn ich mich umdrehte, um einen Blick darauf zu werfen, die jedoch immer da war.
Auch wenn ich ihm wieder den Rücken zukehrte, verließ mich der Schatten nicht. Er haftete mir unwiderruflich an, ob ich ihn beachtete oder nicht, und lauerte stets substanzlos in meiner Nähe, mit den Fingern nicht zu fassen und doch
Persönlicher Dämon oder Schutzengel? Oder nur der Schatten der Bestie, beständige Erinnerung an die Unausweichlichkeit des Körpers und seiner Bedürfnisse?
Unten mischte sich ein anderes Geräusch unter das Gejammer; Husten, dachte ich, doch es hörte nicht auf und der Rhythmus klang irgendwie verkehrt. Vorsichtig steckte ich den Kopf aus dem Fenster wie eine Schnecke nach einem Gewitter und machte inmitten des rasselnden Gurgelns ein paar Worte aus.
»…
Roger sang.
Ich spürte beißende Tränen in meinen Augen und zog hastig den Kopf ein, um nicht gesehen zu werden. Der Gesang hatte keine Melodie – die Tonhöhe änderte sich kaum mehr als das Summen des Windes auf dem Hals einer leeren Flasche –, und doch war es Musik. Ein hartnäckig, raspelnd dahingekeuchtes Lied, und doch schwoll Jemmys Heulen zu schniefenden Schluchzern ab, als versuchte er, die Worte auszumachen, die sein Vater so qualvoll durch seine vernarbte Kehle zwängte.
»
»
Dann bemerkte ich Jamie, der reglos hinter mir stand.
Er machte kein Geräusch, doch ich spürte ihn sogleich; eine Wärme, eine Verdichtung in der kühlen Luft des Zimmers.