Bei diesem Gedanken gähnte ich unwillkürlich so herzhaft, dass mein Kiefer knackte. Das würde ich niemals durchhalten, dachte ich bestürzt. Ich hatte am Morgen ein paar Stunden geschlafen, aber nicht so lange, dass es für eine ausgewachsene gälische Totenwache nebst Begräbnisfeier reichen würde. Im Morgengrauen würde der Fußboden mit Schläfern übersät sein, die nach Whisky und feuchten Kleidern rochen.
Blinzelnd gähnte ich erneut, und als ich dann den Kopf schüttelte, um ihn wieder klar zu bekommen, verschwamm es mir vor den Augen. Jeder Knochen meines Körpers schmerzte vor Erschöpfung, und es gab nichts, was ich mir sehnlicher wünschte, als für ein paar Tage ins Bett zu gehen.
In meine Gedanken vertieft, hatte ich nicht bemerkt, dass Brianna zu mir gekommen war und sich hinter mich gestellt hatte. Ihre Hände senkten sich auf meine Schultern, und sie trat noch näher an mich heran, so dass ich die Wärme ihrer Berührung spürte. Marsali war gegangen; wir waren allein. Sie begann, mir die Schultern zu massieren, und ihre langen Daumen bewegten sich langsam an meinen Halsmuskeln aufwärts. »Müde?« fragte sie.
»Mm. Geht so«, sagte ich. Ich schloss das Buch, lehnte mich zurück und gab mich für den Augenblick der schieren Entspannung hin, die ihre Berührung brachte. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich so verkrampft gewesen war.
Das große Zimmer war still und aufgeräumt, bereit für die Totenwache. Mrs. Bug kümmerte sich um das Barbecue. Die Mädchen hatten ein Kerzenpaar angezündet, an jedem Ende des schwer beladenen Tisches eine, und als sich die Kerzenflammen jetzt einem plötzlichen Luftzug beugten, huschten Schatten über die weiß gekälkten Wände und den stillen Sarg.
»Ich glaube, ich habe sie umgebracht«, sagte ich plötzlich, ohne es vorgehabt zu haben. »Es war das Penizillin, woran sie gestorben ist.«
Die langen Finger unterbrachen ihre lindernde Bewegung nicht.
»Ach ja?«, murmelte sie. »Aber dir ist doch nichts anderes übrig geblieben, oder?«
»Nein.«
Ein leiser Schauer der Erleichterung durchlief mich, nicht nur in Folge des direkten Geständnisses, sondern auch, weil sich die schmerzhaften Verspannungen in meinem Hals und meinen Schultern allmählich lösten.
»Schon gut«, sagte sie leise, während sie mich massierte und streichelte. »Sie wäre doch sowieso gestorben, oder? Es ist traurig, aber du hast nichts Falsches getan. Das weißt du doch.«
»Ja, ich weiß.« Zu meiner Überraschung lief mir eine einzelne Träne über die Wange und tropfte auf die Buchseite, deren Papier an der Stelle aufquoll. Ich kniff die Augen fest zu und rang um meine Selbstbeherrschung. Ich wollte Brianna nicht nervös machen.
Sie war nicht nervös. Ihre Hände hoben sich von meinen Schultern, und ich hörte die Beine eines Hockers über den Boden schaben. Dann legte sie die Arme um mich, und ich ließ mich von ihr nach hinten ziehen, bis mein Kopf direkt unter ihrem Kinn ruhte. Sie hielt mich einfach nur fest, überließ mich dem beruhigenden Heben und Senken ihrer Atmung.
»Ich bin einmal mit Onkel Joe Abendessen gewesen, als er gerade einen Patienten verloren hatte«, sagte sie schließlich. »Er hat mir erzählt, wie das ist.«
»Wirklich?« Ich war ein wenig überrascht; ich hatte nicht gedacht, dass Joe sich mit ihr über solche Dinge unterhalten hatte.
»Eigentlich hatte er das gar nicht vor. Aber ich konnte sehen, dass ihm etwas Kummer machte, also habe ich ihn gefragt. Und – er musste darüber reden, und ich war da. Hinterher hat er gesagt, es wäre fast, als wärest du da. Ich wusste gar nicht, dass er dich Lady Jane genannt hat.«
»Ja«, sagte ich. »Wegen der Art, wie ich rede, hat er gesagt.« Ich spürte einen lachenden Atemhauch an meinem Ohr und lächelte sacht als Antwort. Ich schloss die Augen und konnte meinen Freund vor mir sehen, wie er in leidenschaftlicher Unterhaltung gestikulierte, das Gesicht leuchtend vor Schabernack.
»Er hat gesagt, wenn so etwas geschieht, dann gibt es manchmal im Krankenhaus eine Art formeller Anhörung. Nicht wie ein Prozess, das nicht – sondern eine Zusammenkunft der anderen Ärzte, um zu hören, was genau geschehen ist, was schiefgegangen ist. Er hat gesagt, es war so ähnlich wie bei der Beichte, es anderen Ärzten zu erzählen, die es verstehen konnten – und dass es geholfen hat.«
»Mm-hm.« Sie schwankte jetzt sanft und wiegte mich dabei, so wie sie Jemmy tröstend wiegte.
»Ist es das, was dir Kummer macht?«, fragte sie leise. »Nicht nur Rosamund – sondern auch, dass du allein bist? Dass du niemanden hast, der dich wirklich verstehen kann?«
Ihre Arme umschlangen meine Schultern, die verschränkten Hände ruhten leicht auf meiner Brust. Junge, kräftige, geschickte Hände mit straffer, heller Haut, die nach frisch gebackenem Brot und Erdbeermarmelade roch. Ich ergriff die eine und legte ihre warme Handfläche an meine Wange.
»Sieht ganz danach aus«, sagte ich.
Die Hand wölbte sich, strich mir über die Wange und verschwand. Die kräftige, junge Hand bewegte sich langsam und strich mir voller Zuneigung das Haar hinter das Ohr.