Die Wahrheit war, dass ich nicht glaubte, dass Rosamund Lindsay an einer Blutvergiftung gestorben war. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie an einer akuten Reaktion auf eine ungereinigte Penizillinmixtur gestorben war – kurz, an der Arznei, die ich ihr verabreicht hatte. Natürlich entsprach es genauso der Wahrheit, dass die Blutvergiftung sie umgebracht hätte, wenn sie unbehandelt geblieben wäre.
Außerdem war es die Wahrheit, dass ich nicht im Voraus wissen konnte, welche Wirkung das Penizillin haben würde – aber genau darum ging es doch, oder? Sicherzustellen, dass es jemand anders
Ich spielte mit dem Federkiel, den ich zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her drehte. Ich hatte über meine Penizillinexperimente akribisch Protokoll geführt – über die Kulturen, die ich auf Medien gezüchtet hatte, die von Brot bis hin zu vorgekautem Paw-Paw und vergammelter Melonenrinde reichten, hatte haargenau beschrieben, wie man die
Ja, natürlich musste ich die Wirkung beschreiben. Doch die eigentliche Frage war – für wen erstellte ich dieses sorgfältige Protokoll?
Ich nagte nachdenklich an meiner Unterlippe. Wenn dies nur ein Nachschlagewerk für meinen eigenen Gebrauch war, dann war es einfach; ich konnte schlicht die Symptome, den zeitlichen Ablauf und die Wirkung festhalten, ohne die Todesursache explizit zu notieren; es war schließlich sowieso nicht sehr wahrscheinlich, dass ich die Umstände je vergessen würde. Doch wenn diese Aufzeichnungen einmal jemand anderem nutzen sollten … jemandem, der keine Ahnung von den Segnungen und Gefahren eines Antibiotikums hatte …
Die Tinte an meinem Federkiel war im Begriff einzutrocknen. Ich senkte die Spitze auf die Seite.
Ich blickte zu dem Sarg hinüber, der unter dem verregneten Fenster auf zwei Böcken stand. Die Blockhütte der Lindsays war kaum mehr als halb fertig; für ein Begräbnis bei strömendem Regen, zu dem noch dazu viele Trauergäste erwartet wurden, eignete sie sich nicht. Der Sarg war offen und harrte der abendlichen Totenwache, doch man hatte ihr das Leichentuch aus Musselin über das Gesicht gezogen.
Rosamund hatte in Boston als Hure gearbeitet; als sie zu stämmig und zu alt wurde, um ihrem Gewerbe mit Gewinn nachzugehen, hatte sie sich auf den Weg nach Süden gemacht und nach einem Ehemann Ausschau gehalten. »Ich hätte es dort keinen einzigen Winter mehr ausgehalten«, hatte sie mir kurz nach ihrer Ankunft in Fraser’s Ridge anvertraut. »Und ich konnte keine stinkenden Fischer mehr sehen.«
Sie hatte die notwendige Zuflucht bei Kenny Lindsay gefunden, der auf der Suche nach einer Frau war, die ihm beim Aufbau einer Heimstatt half. Es war keine Ehe, die aus körperlicher Anziehung – die Lindsays hatten zusammen vielleicht sechs gesunde Zähne gehabt – oder aus einem Einklang der Gefühle geboren war, doch ihr Umgang schien mir liebenswürdig zu sein.
Kenny war eher schockiert als gramgebeugt gewesen, als Jamie ihn beiseite nahm, um ihn mit Whisky zu verarzten – eine Erfolg versprechendere Behandlung als die meine. Zumindest ging ich nicht davon aus, dass sie tödlich sein würde.
Bei dieser Erinnerung schnürte es mir selbst die Kehle zu, als würde ich erwürgt. Ich griff nach der Tasse mit Katzenminztee, die allmählich abkühlte, und ließ mir die aromatische Flüssigkeit lindernd durch die Kehle gleiten. Die Tatsache, dass die Sepsis sie schleichender umgebracht hätte, war nur ein schwacher Trost. Der Erstickungstod war zwar schneller, aber auch nicht sehr viel angenehmer.
Ich tippte mit der Gänsefeder auf den Tintenlöscher und malte kleine Tintenpunkte, die sich in dem grobfaserigen Papier ausbreiteten und eine Galaxie aus winzigen Sternen bildeten. Was das anging – so gab es noch eine andere Möglichkeit. Der Tod konnte auch durch einen Lungenembolus verursacht worden sein – einen Blutklumpen in der Lunge. Das war eine denkbare Komplikation der Sepsis, die auch die Symptome erklärt hätte.