Da die Lage der Patientin ausgesprochen ernst war, empfahl ich die sofortige Amputation des Gliedes am Ellbogen. Die Patientin weigerte sich, dies in Betracht zu ziehen und bestand stattdessen auf Anwendung eines Taubenumschlages, bestehend aus dem halbierten Körper einer frisch geschlachteten Taube, der auf die Wunde aufgelegt werden sollte (der Ehemann der Patientin hatte eine Taube mitgebracht, der er gerade den Hals umgedreht hatte). Nahm den Daumen an der Wurzel des Mittelhandknochens ab, band die Überreste der Speichenarterie (die bei dem Unfall zerquetscht worden war) und der
superficialis volae ab. Debridement und Drainage der Wunde, oberflächliches Auftragen etwa einer viertel Unze rohen Penizillinpulvers (Herkunft: verrottete Wintermelonenrinde, Partie Nr. 23, zubereit. 15/4/72), gefolgt von zerstampftem, rohem Knoblauch (drei Zehen), Berberitzensalbe – und dem Taubenumschlag, auf Beharren des Ehemannes, jedoch über dem Verband. Flößte der Patientin Flüssigkeit ein; fiebersenkende Mischung aus rotem Tausendgüldenkraut, Blutwurz und Hopfen; Wasser nach Belieben. Injizierte flüssige Penizillinlösung (Partie Nr. 23), IV, Dosierung: eine viertel Unze, gelöst in sterilem Wasser.Rapide Verschlimmerung des Zustands der Patientin mit zunehmenden Symptomen der Desorientierung und des Deliriums, hohes Fieber. Auf Armen und Oberkörper zeigte sich heftiger Nesselausschlag. Versuchte, das Fieber mit wiederholten Kaltwasseranwendungen zu senken, ohne Erfolg. Da die Patientin inkohärent war, den Ehemann um Erlaubnis zur Amputation gebeten; diese wurde verweigert, da der Tod unmittelbar bevorzustehen schien und die Patientin »in einem Stück beerdigt zu werden wünschte«.
Wiederholte die Penizillininjektion. Die Patientin verlor kurz darauf das Bewusstsein und verstarb kurz vor dem Morgengrauen
.Ich tauchte meinen Gänsekiel frisch ein, zögerte dann aber und ließ die Tinte von seiner geschärften Spitze abtropfen. Wie viel mehr sollte ich sagen?
Meine tief gehende Veranlagung zu wissenschaftlicher Gründlichkeit rang mit meiner Vorsicht. Es war wichtig zu beschreiben, was geschehen war, und zwar so vollständig wie möglich. Gleichzeitig zögerte ich jedoch, schriftlich niederzulegen, was möglicherweise dem Eingeständnis eines Totschlagsdeliktes gleichkam – es war kein Mord, so sagte ich mir, obwohl meine Schuldgefühle da keinen Unterschied sahen.
»Gefühle sind nicht die Wahrheit«, murmelte ich. Auf der anderen Seite des Zimmers blickte Brianna von dem Brot auf, das sie gerade in Scheiben schnitt, doch ich beugte meinen Kopf über das Buch, und sie nahm ihre flüsternde Unterhaltung mit Marsali wieder auf. Es war noch früh am Nachmittag, aber draußen war es dunkel und regnerisch. Ich hatte mir zum Schreiben eine Kerze angezündet, doch die Hände der Mädchen huschten im Zwielicht über den Tisch wie Motten, die hier und dort zwischen den Tellern und Platten landeten.