»Hier ist ’ne kleine«, sagte Jamie, beugte sich zu mir herüber und schob das Haar zur Seite, so dass ich nach der kleinen, dunklen Erhebung hinter seinem Ohr greifen konnte. Ich war dabei, das Tierchen sanft herauszudrehen, als mir bewusst wurde, dass jemand neben mir stand.
Als wir unser Lager aufgeschlagen hatten, war ich zu müde gewesen, um besonders auf unsere Flüchtige zu achten, denn ich hatte zu Recht angenommen, dass sie sich nicht allein in die Wildnis davonmachen würde. Allerdings war sie bis zu einem Bach in der Nähe spaziert und mit einem Eimer Wasser zurückgekehrt.
Diesen stellte sie jetzt ab, schöpfte eine Handvoll Wasser und ließ es in ihren Mund laufen. Einen Moment lang kaute sie heftig mit aufgeblasenen Wangen. Dann winkte sie mich beiseite, hob zu Jamies Überraschung seinen Arm hoch und spuckte ihm kräftig in die Achselhöhle.
Sie griff in die tropfende Höhlung und schien den Parasiten vorsichtig mit den Fingern zu kitzeln. Mit Sicherheit kitzelte sie Jamie, der in dieser Gegend sehr empfindlich war. Er wurde rot im Gesicht und zuckte bei ihrer Berührung erschauernd zusammen.
Doch sie hielt ihn am Handgelenk fest, und innerhalb von Sekunden fiel ihr die pralle Zecke in die Handfläche. Sie schnippte sie verächtlich weg und wandte sich mit einem Hauch von Genugtuung zu mir.
Solange sie in ihren Umhang gewickelt war, hatte ich geglaubt, dass sie einer Kugel ähnelte. Doch ohne Umhang sah sie auch nicht anders aus. Sie war sehr klein, keine anderthalb Meter groß und fast genauso breit. Ihr kurzgeschorener Kopf erinnerte an eine Kanonenkugel, und ihre Wangen waren so rund, dass die Augen darüber zu Schlitzen verengt waren.
Sie hatte große Ähnlichkeit mit den geschnitzten afrikanischen Fruchtbarkeitsidolen, die ich auf den Westindischen Inseln gesehen hatte – mächtige Brüste, schwere Hüften und die tiefe Röstkaffeefarbe der Kongolesen. Ihre Haut war so makellos, dass sie unter dem dünnen Schweißfilm aussah wie polierter Stein. Sie hielt mir die Hand hin und zeigte mir ein paar kleine Gegenstände in ihrer Handfläche, die in etwa die Größe und Form getrockneter Limabohnen hatten.
»Pah-pah«, sagte sie mit einer so tiefen Stimme, dass selbst Myers ihr überrascht den Kopf zuwandte. Es war eine laute, volle Stimme, volltönend wie eine Trommel. Als sie meine Reaktion darauf sah, lächelte sie ein wenig schüchtern und sagte etwas, was ich nicht ganz verstand, obwohl ich wusste, dass es Gälisch sein musste.
»Sie sagt, du darfst die Samen nicht hinunterschlucken, weil sie giftig sind«, übersetzte Jamie und betrachtete sie ziemlich argwöhnisch, während er sich die Achselhöhle mit einem Zipfel seines Plaids abwischte.
»Hau«, stimmte Pollyanne zu und nickte heftig. »Gif-tick.« Sie bückte sich über ihren Eimer und schöpfte noch eine Handvoll Wasser, spülte sich damit den Mund und spuckte es gegen den Felsen. Es knallte wie ein Gewehrschuss.
»Damit könntest du anderen ganz schön gefährlich werden«, sagte ich zu ihr. Ich wusste nicht, ob sie mich verstand, doch aus meinem Lächeln schloss sie, dass meine Absichten freundschaftlich waren; sie lächelte zurück, steckte sich noch zwei der Paw-paw-Samen in den Mund und winkte Myers heran. Dabei kaute sie bereits, und die Samen zerplatzten mit einem leisen Knirschen, als sie sie zwischen ihren Zähnen zermahlte.
Als wir gegessen hatten und zum Aufbruch bereit waren, hatte sie sich, wenn auch reichlich nervös, bereit erklärt, es einmal allein auf einem Pferd zu versuchen. Jamie brachte sie dazu, sich dem Pferd zu nähern, und zeigte ihr, wie sie das Tier an ihr schnuppern lassen sollte. Sie zitterte, als die große Nase sie anstupste, doch dann schnaubte das Pferd. Sie fuhr auf, kicherte – was sich anhörte, wie wenn man Honig aus einem Krug schüttet – und ließ sich dann von Jamie und Ian hinaufhieven.
Pollyanne blieb den Männern gegenüber schüchtern, doch mir vertraute sie bald genug, um mit mir in einer polyglotten Mischung aus Gälisch, Englisch und ihrer Muttersprache zu reden. Ich hätte es nicht übersetzen können, doch ihr Gesicht und ihr Körper waren so ausdrucksvoll, dass ich oft erraten konnte, was sie sagte, obwohl ich nur jedes zehnte Wort verstand. Ich konnte nur bedauern, dass ich die Körpersprache nicht genauso beherrschte; sie verstand die meisten meiner Fragen und Bemerkungen nicht, so dass ich warten musste, bis wir unser Lager aufschlugen und ich Jamie oder Ian bitten konnte, mir mit ein paar Brocken Gälisch auszuhelfen.
Nachdem sie zumindest vorübergehend vom Druck des Schreckens befreit war und sie sich in unserer Gesellschaft immer sicherer fühlte, zeigte sich allmählich ihr überschäumendes Temperament. Während wir Seite an Seite ritten, redete sie ohne Punkt und Komma, ohne sich darum zu kümmern, ob ich sie verstand. Ab und zu brach sie in leise johlendes Gelächter aus, das wie das Heulen des Windes in einem Höhleneingang klang.