»Aye, ich weiß. Da bin ich ihm zum ersten Mal begegnet.« Jamie achtete darauf, seine Stimme von jeglicher Belustigung frei zu halten. Er fühlte sich versucht, dem Jungen zu erzählen, unter welchen Umständen diese erste Begegnung stattgefunden hatte, doch das wäre eine armselige Belohnung gewesen für das unbezahlbare Geschenk, das John ihm gemacht hatte, diese wenigen, kostbaren Tage mit seinem Sohn.
»Er war wirklich ein sehr tapferer Soldat«, stimmte Jamie mit unbewegtem Gesicht zu. »Und in Bezug auf die Hände hatte er auch recht. Habt Ihr denn schon Eure Ausbildung mit dem Schwert begonnen?«
»Nur ein bisschen.« Vor lauter Begeisterung über dieses neue Thema vergaß Willie seine Verlegenheit. »Ich habe einen kleinen Degen, seit ich acht bin, und kann täuschen und parieren. Papa sagt, ich bekomme ein richtiges Schwert, wenn wir nach Virginia kommen, jetzt bin ich groß genug, um Terzen und Ausfallschritte zu lernen.«
»Ah. Na dann, wenn Ihr ein Schwert mit links führen könnt, dann glaube ich auch nicht, dass es Euch Schwierigkeiten macht, auf dieselbe Weise mit einer Angel umzugehen. Hier, wir wollen es noch einmal versuchen, sonst gibt es kein Abendessen.«
Beim dritten Versuch senkte sich die Fliege perfekt herab und war kaum mehr als eine Sekunde auf dem Wasser getrieben, als eine kleine, aber hungrige Forelle an die Oberfläche rauschte und sie verschlang. Willie tat einen aufgeregten Schrei und riss so fest an der Rute, dass die verblüffte Forelle an seinem Kopf vorbei durch die Luft flog und platschend hinter ihm auf dem Ufer landete.
»Ich hab’s geschafft! Ich hab’s geschafft! Ich habe einen Fisch gefangen!« Willie schwenkte die Angel und rannte unter Freudengeheul in kleinen Kreisen herum, wobei er die seinem Titel angemessene Würde völlig vergaß.
»Das stimmt.« Jamie hob die Forelle auf, die von der Nase bis zum Schwanz vielleicht fünfzehn Zentimeter maß, und klopfte dem herumtanzenden Grafen zur Gratulation auf den Rücken. »Gut gemacht, Junge! Sieht so aus, als ob sie heute Abend gut beißen; wir wollen es noch ein-, zweimal versuchen, aye?«
Die Forellen bissen tatsächlich gut. Als die Sonne hinter dem Rand der weit entfernten, schwarzen Berge versunken und das Silberwasser zu blindem Zinn verblichen war, hatte jeder von ihnen eine ansehnliche Reihe von Fischen gefangen. Sie waren beide nass bis auf die Knochen, erschöpft, halbblind vom grellen Sonnenlicht und durch und durch glücklich.
»Ich habe noch nie etwas gegessen, das auch nur halb so köstlich war«, sagte Willie verträumt. »Nie.« Er saß nackt in eine Decke gehüllt, und sein Hemd, seine Kniehosen und Strümpfe hingen zum Trocknen über einem Ast. Er legte sich mit einem zufriedenen Seufzen zurück und rülpste sacht.
Jamie hängte sein feuchtes Plaid über einen Busch und legte noch ein Holzscheit auf das Feuer. Das Wetter war gut, Gott sei Dank, doch es war kühl jetzt, wo die Sonne nicht mehr schien, der Nachtwind sich erhob und er ein feuchtes Hemd anhatte. Er stellte sich nah ans Feuer und ließ die heiße Luft unter seinem Hemd aufsteigen. Die Wärme stieg ihm an den Oberschenkeln hoch und berührte ihn an Brust und Bauch, angenehm wie Claires Hände auf der kühlen Haut zwischen seinen Beinen.
Er stand eine Zeitlang still da und beobachtete den Jungen, scheinbar, ohne ihn anzusehen. Auch wenn er seine Eitelkeit vergaß und gerecht urteilte, hielt er William für ein hübsches Kind. Dünner, als er sein sollte; man konnte jede Rippe sehen – aber mit sehnigen, muskulösen Gliedmaßen und am ganzen Körper wohlgeformt.
Der Junge hatte den Kopf abgewandt und blickte in das Feuer, so konnte er ihn offener ansehen. Ein Harztropfen zerplatzte knisternd im Kiefernholz und überflutete Willies Gesicht einen Moment lang mit goldenem Licht.
Jamie stand völlig still, spürte sein Herz schlagen, sah zu. Es war einer von diesen seltsamen Augenblicken, die er selten erlebte, aber nie wieder vergaß. Ein Augenblick, der sich in Herz und Verstand prägte und den er sich für den Rest seines Lebens jederzeit bis ins kleinste Detail wieder vor Augen rufen konnte.
Unmöglich zu sagen, was einen solchen Augenblick von allen anderen unterschied, doch er erkannte ihn, wenn er kam. Er hatte schon viel grauenhaftere oder auch schönere Anblicke gesehen, und doch waren sie ihm nur flüchtig und verschwommen in Erinnerung geblieben. Doch diese – die Zeitstillstände, wie er sie insgeheim nannte –, sie kamen ohne Vorwarnung, um ihm ein zufälliges Bild von den alltäglichsten Dingen unauslöschlich ins Hirn zu brennen. Sie waren wie die Fotografien, die Claire ihm mitgebracht hatte, nur trugen diese Augenblicke mehr in sich als nur den visuellen Eindruck.
Er hatte einen von seinem Vater, wie er verschmiert und schmutzig auf der Mauer eines Kuhstalls saß und ihm ein kalter, schottischer Wind durchs Haar fuhr. Er konnte diesen Augenblick heraufbeschwören und das trockene Heu und den Dunggeruch riechen, spüren, wie ihm der Wind die Finger kühlte und das Licht in den Augen seines Vaters ihm das Herz wärmte.