»Man nennt nur etwas beim Namen, wenn man will, dass es auch kommt«, sagte sie. »Das musst du doch wissen, wo doch dein Vater Priester war.«
Die Haare auf seinen Unterarmen richteten sich auf, obwohl sie von Hemd und Rock bedeckt waren.
»Jetzt, wo du es sagst«, sagte er, um einen scherzhaften Ton bemüht, der ihm gründlich danebengeriet. »Ich habe den Namen meines Vaters nicht direkt ausgerufen, aber vielleicht … Dr. Randall hat gesagt, sie hat bei ihrer Rückkehr an ihren Mann gedacht.«
Fiona nickte stirnrunzelnd. Er konnte ihr Gesicht deutlich erkennen und begriff erschrocken, dass es heller wurde. Die Dämmerung war nahe; der Himmel im Osten hatte die schimmernde Farbe von Lachsschuppen.
»Himmel, es ist fast Morgen. Ich muss los!«
»Los?« Fionas Augen weiteten sich vor Schrecken. »Du willst es doch nicht
»Doch. Ich muss.« Sein Mund war völlig ausgetrocknet, und er bedauerte, dass Fiona den ganzen Kaffee dazu benutzt hatte, ihn zu löschen. Er kämpfte gegen das hohle Gefühl in seinem Bauch an und kämpfte sich hoch. Seine Knie waren weich, doch er konnte gehen.
»Bist du verrückt, Rog? Es wird dich mit Sicherheit umbringen!«
Er schüttelte den Kopf und heftete den Blick auf den hohen, gespaltenen Stein.
»Nein«, sagte er und hoffte inständig, dass er recht hatte. »Nein, ich weiß, was ich falsch gemacht habe. Es passiert mir nicht wieder.«
»Das kannst du nicht wissen, nicht mit Sicherheit.«
»Aye, doch.« Er nahm ihre Hand von seinem Ärmel und hielt sie zwischen den seinen fest; sie war klein und kalt. Er lächelte sie an, obwohl sich sein Gesicht merkwürdig taub anfühlte. »Ich hoffe, Ernie ist noch nicht zu Hause; er wird dich von der Polizei suchen lassen. Am besten gehst du schnell zurück.«
Sie zuckte ungeduldig die Achseln.
»Er ist angeln mit seinem Vetter Neil; er kommt vor Dienstag nicht zurück. Was meinst du, es passiert dir nicht wieder – warum nicht?«
Das war es, was schwieriger zu erklären war als alles andere. Doch er schuldete ihr den Versuch.
»Als ich gesagt habe, dass ich an meinen Vater dachte, da habe ich ihn mir so vorgestellt, wie ich ihn kannte – die Bilder von ihm in der Fliegerausrüstung oder mit meiner Mutter. Es ist nur … da war ich schon geboren. Verstehst du?« Er durchforschte ihr kleines, rundes Gesicht und sah, wie sie langsam die Augen schloss, als sie es begriff. Sie atmete mit einem leisen Seufzer aus, in dem sich Angst und Staunen vermischten.
»Dann bist du also nicht nur deinem Pa begegnet, oder?«, fragte sie leise.
Er schüttelte wortlos den Kopf. Kein Bild, kein Geräusch, Geruch, Gefühl. Kein Bild der Welt konnte beschreiben, wie es gewesen war, sich selbst zu begegnen.
»Ich muss los«, wiederholte er leise. Er drückte ihre Hand. »Fiona, ich kann gar nicht sagen, wie dankbar ich dir bin.«
Sie starrte ihn einen Moment lang an, die weiche Unterlippe vorgeschoben, und ihre Augen glitzerten. Dann zog sie ihre Hand zurück, schraubte sich ihren Verlobungsring vom Finger und legte ihn in seine Hand.
»Es ist ein kleiner Stein, aber ein echter Diamant«, sagte sie. »Vielleicht hilft er dir.«
»Das kann ich nicht annehmen!« Er streckte die Hand aus, um ihn zurückzugeben, doch sie trat einen Schritt zurück und verschränkte die Hände hinter ihrem Rücken.
»Keine Sorge, er ist versichert«, sagte sie. »Ernie geht gern auf Nummer sicher.« Sie versuchte, ihn anzulächeln, obwohl ihr jetzt die Tränen über das Gesicht liefen. »Und ich auch.«
Es gab nichts mehr zu sagen. Er steckte den Ring in die Seitentasche seines Rockes und warf einen Blick auf den großen, gespaltenen Stein, dessen schwarze Flanken zu glitzern begannen, als sich das Licht der Dämmerung in den Flecken aus Katzengold und den Quarzfäden fing. Er konnte das Summen immer noch hören, obwohl es sich jetzt eher so anfühlte wie das Pulsieren seines Blutes; etwas in seinem Inneren.
Keine Worte, und kein Bedarf danach. Er berührte zum Abschied sacht ihr Gesicht und schritt leicht stolpernd auf den Stein zu. Er trat in die Spalte.
Fiona hörte nichts, doch das Echo eines Namens schimmerte in der stillen, klaren Luft des Mittsommertages.
Sie wartete lange, bis die Sonne auf der Spitze des Steines ruhte.
Kapitel 34
Lallybroch