Der Name des Rotfuchses war Brutus, doch glücklicherweise schien er bisher nicht auf den Charakter des Pferdes hinzuweisen. Es war zu gesetzt, um ein Verschwörer zu sein, stark und zuverlässig – oder wenn nicht zuverlässig, so doch zumindest in sein Schicksal ergeben. Es hatte sie ohne einen Fehltritt durch die sommergrünen Täler und felsigen Schluchten getragen, sie höher und höher hinaufgebracht, auf den guten Straßen, die der englische General Wade fünfzig Jahre zuvor gebaut hatte, und den schlechten Straßen jenseits der Reichweite des Generals. Sie waren durch überwachsene Bachläufe geplanscht und in Höhen gelangt, wo die Straßen zu Rotwildwechseln im Moor dahinschwanden.
Brianna legte die Zügel auf Brutus’ Hals, um ihn nach der letzten Steigung ausruhen zu lassen, und saß still da, während sie das kleine Tal zu ihren Füßen überblickte. Das große, weißgetünchte Bauernhaus stand friedlich inmitten blassgrüner Hafer- und Gerstenfelder, seine Fenster und Schornsteine waren in grauen Stein gefasst, der ummauerte Gemüsegarten und die zahlreichen Nebengebäude scharten sich um das Haus wie Küken um eine große, weiße Henne.
Sie hatte es noch nie gesehen, doch sie hatte keinen Zweifel. Sie hatte oft genug gehört, wie ihre Mutter Lallybroch beschrieb. Und außerdem war es meilenweit das einzige größere Haus; in den letzten drei Tagen hatte sie nur winzige, steinerne Bauernkaten gesehen, viele verlassen und zusammengefallen, manche nur noch feuergeschwärzte Ruinen.
Aus einem Schornstein unten stieg Rauch auf; es war jemand zu Hause. Es war fast Mittag; vielleicht waren alle drinnen und aßen?
Sie schluckte; ihr Mund war trocken vor Aufregung und Erwartungsfreude. Wen würde sie zuerst sehen? Ian? Jenny? Und wie würden sie ihr Erscheinen und ihre Erklärungen aufnehmen?
Sie hatte sich entschlossen, einfach die Wahrheit zu sagen, zumindest darüber, wer sie war und was sie hier suchte. Ihre Mutter hatte ihr gesagt, wie sehr sie ihrem Vater ähnelte; sie würde auf diese Ähnlichkeit zählen müssen, um sie zu überzeugen. Bei den Highlandern, denen sie bis jetzt begegnet war, hatten ihr Aussehen und ihre fremdartige Aussprache Argwohn erregt; vielleicht würden die Murrays ihr nicht glauben. Dann erinnerte sie sich und berührte ihre Rocktasche; nein, sie würden ihr glauben; schließlich hatte sie einen Beweis.
Ein plötzlicher Gedanke durchzuckte sie. Konnte es sein, dass sie jetzt hier waren? Jamie Fraser und ihre Mutter? Die Idee war ihr noch gar nicht gekommen. Sie war so fest davon überzeugt gewesen, dass sie in Amerika waren – aber das musste ja nicht so sein. Sie wusste nur, dass sie 1776 in Amerika sein
Brutus warf den Kopf hoch und wieherte laut. Hinter ihnen erklang ein antwortendes Wiehern, und Brianna nahm die Zügel auf, als Brutus sich umdrehte. Er hob den Kopf und wieherte erneut, und seine Nüstern weiteten sich interessiert, als ein hübscher Brauner um die Straßenbiegung trabte, der einen hochgewachsenen, in Braun gekleideten Mann trug.
Der Mann hielt sein Pferd einen Augenblick an, gab ihm dann aber sacht die Ferse und kam langsam näher. Sie sah, dass er jung war und trotz seines Hutes tiefgebräunt; er musste viel Zeit unter freiem Himmel verbringen. Seine Rockschöße waren zerknittert und seine Strümpfe mit Staub und Fuchsschwanzgräsern übersät.
Er näherte sich argwöhnisch und nickte, als er bis auf Sprechweite herangekommen war. Dann sah sie, wie er sich überrascht versteifte, und sie lächelte vor sich hin.
Er hatte gerade gemerkt, dass sie eine Frau war. Die Männerkleider, die sie trug, würden aus der Nähe niemanden täuschen; »jungenhaft« war das letzte Wort, das man benutzen würde, um ihre Figur zu beschreiben. Doch sie erfüllten hinlänglich ihren Zweck – man konnte bequem damit reiten, und aufgrund ihrer Größe sah sie aus der Entfernung wie ein Mann zu Pferd aus.
Der Mann zog seinen Hut und verneigte sich vor ihr; die Überraschung war ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Er war nicht wirklich gutaussehend, doch er hatte ein freundliches, kraftvolles Gesicht mit fedrigen Brauen – die er zurzeit hochgezogen hatte – und braune Augen unter einer dichten Kappe aus lockigem, schwarzem Haar, das vor Gesundheit glänzte.
»Madame«, sagte er. »Kann ich Euch helfen?«
Sie nahm ebenfalls den Hut ab und lächelte ihn an.
»Das hoffe ich«, sagte sie. »Ist das hier Lallybroch?«
Er nickte, und Argwohn gesellte sich zu seiner Überraschung, als er ihren merkwürdigen Akzent hörte.
»So ist es. Habt Ihr hier zu tun?«
»Ja«, sagte sie fest. »Das habe ich.« Sie richtete sich im Sattel auf und holte tief Luft. »Ich bin Brianna … Fraser.« Es fühlte sich merkwürdig an, es laut zu sagen; sie hatte den Namen noch nie benutzt. Doch es fühlte sich erstaunlich richtig an.
Der Argwohn in seinem Gesicht verblasste, nicht aber die Verwunderung. Er nickte zurückhaltend.
»Euer Diener, Ma’am. Jamie Fraser Murray«, fügte er formell hinzu und verbeugte sich, »von Broch Tuarach.«